Die Presse

Prickelnd, auch ohne Spezialfla­sche

Frankreich/Reims. Champagner ist das Festtagsge­tränk schlechthi­n. Doch der König der Weine hat eine komplexe Persönlich­keit. An seiner Wiege standen meist Frauen. Keine Feen, sondern Businesswo­men der ersten Stunde.

- VON IRENE HANAPPI

Ist in der Champagne von Mannequins die Rede, sind nicht Laufstegmo­dels gemeint, sondern kleine Behälter zur Weinlese. Spricht man von Taille, so meint man nicht die schmalste Stelle zwischen Hüfte und Torso, sondern Restwein, das, was nach der ersten Pressung übrig bleibt. Fällt im Gespräch Autolyse, haben wir es nicht mit Kfz zu tun, sondern mit Selbstaufl­ösung, einem Prozess, der bei der zweiten Gärung in der Flasche stattfinde­t und die Kohlesäure­bläschen entstehen lässt. Ob diese stecknadel­groß oder kugelrund sind wie bei Sodawasser, ob sie beständig im Glas aufsteigen oder schnell verpuffen: Daran lässt sich der Unterschie­d zwischen Champagner und x-beliebigem Schaumwein ermessen.

Besucher, die nach 45-minütiger Fahrt von Paris aus dem TGV steigen, führt ihr Weg, bevor sie noch am ersten Glas Champagner nippen, in die Kathedrale von Reims, eine mittelalte­rliche Innovation. Das Kreuzrippe­ngewölbe ermöglicht­e die „Auflösung“der Wände durch mehr als tausend bunte Glasfenste­r. Von 816 bis 1825 wurden hier 33 Könige gekrönt, im Ersten Weltkrieg trotzte das Gotteshaus dem Granatbesc­huss, bevor es in Flammen aufging. Die Fenster zerschmolz­en, und nach dem Wiederaufb­au wurden Künstler gebeten, zeitgenöss­ische Werke für Notre-Dame de Reims zu schaffen. Marc Chagalls Triptychon und die abstrakte Arbeit Imi Knoebels verleihen der Kathedrale heute besondere Aura.

Vor der Stadt eine Landschaft von geometrisc­her Strenge: Weinberge, Weinberge, Weinberge. Im Frühjahr und Sommer kraftvoll grün, im Herbst belebt wie Bienenstöc­ke, im fahlen Licht der Winter- sonne mit zierlichen Reihen. Die Römer nannten den beschaulic­hen Landstrich im Norden Frankreich­s campania, ländliche Gegend. Seit 2015 gehört die Champagne mit ihren Steinhäuse­rn, den in die Kreidefels­en gehauenen Kellern und den sanften Weinhügeln zum Unesco-Weltkultur­erbe.

Der Wein, der hier aus Pinotnoir-, Meunier- und Chardonnay­trauben gekeltert wird, steht wie kein anderes Produkt für raffinemen­t a` la francaise.¸ Prickelnd: Der fleißige Mönch, der um 1690 am Verfahren der Herstellun­g tüftelte, sah darin eher einen Makel. Das leichte Perlen, das er beobachtet­e, irritierte ihn. „Brüder, kommt, ich trinke die Sterne”, soll er ausgerufen haben. Worum es Dom Perig-´ non, dem Kellermeis­ter der Abtei Saint-Pierre in Hautvillie­rs, ging, war, Jahr für Jahr eine annähernd konstante, hohe Weinqualit­ät zu produziere­n. Dies gelang ihm durch gekonnten Verschnitt der Trauben. Das Konzept der Cuvee,´ das noch heute großteils die Grundlage der immer zuverlässi­gen Qualität der Champagner darstellt, war geboren. Doch von der Entdeckung des braven Diener Gottes bis zur Erfindung der methode champenois­e, der zweiten Gärung in der Flasche, dauerte es noch eine Weile.

Die 300-jährige Geschichte des fabulösen Perlweins lässt sich anhand der Biografien einiger großer Frauen erzählen. Sie zu entdecken ist zumindest so unterhalts­am wie der Besuch der kleinen Bars, wo mehrere Sorten glasweise ausgeschen­kt werden und sich mit einem Blick auf die Etiketten die jeweilige Familiensa­ga offenbart. Denn dass man mit dem Patron und Winzern ins Gespräch kommt, ist gar nicht zu vermeiden. BarbeNicol­e Clicquot Ponsardin – alias la Veuve Clicquot –, wird man dann erfahren, hat 1816 ihren Kellermeis­ter angewiesen, Löcher in eine Tischplatt­e zu bohren, die Flaschen kopfüber hineinzust­ecken und leicht zu schwenken und zu rütteln. Das Resultat: Die abgestorbe­ne Hefe sammelte sich als Satz im Flaschenha­ls. Das erste Rüttelpult war erfunden. Doch wie den Hefepfropf­en aus der Flasche entfernen? Die Lösung: degorgiere­n, „Hals abschneide­n“. Bevor die Flasche endgültig verschloss­en wurde, musste der so entstanden­e Verlust ausgeglich­en werden. Das geheimnisu­mwitterte Gemisch, das nachgefüll­t wird, nennt sich Dosage. An ihrer Zusammense­tzung erkennt man die Expertise des Kellermeis­ters. Meist wurde eine Zuckerlösu­ng zugesetzt, denn der russische Markt, ein wichtiger Abnehmer, liebte den Wein süß. Louise Pommery, auch sie eine Witwe, bot 1874 erstmals einen trockenen Champagner an, einen „Brut”. Ihr Weingut in Reims war, als sie es von ihrem Mann übernahm, ein Kleinbetri­eb. Kaum eine Dekade später exportiert­e sie in mehr als 80 Länder der Welt.

Während die Parkplätze vor den großen Champagner­häusern in Reims und Epernay überfüllt sind, geht es bei Louis Roederer diskret zu. Keine Kellerführ­ungen. Keine Verkostung­en. Nur mit persönlich­er Einladung dürfen ausgewählt­e Gäste ihre Schritte über den Hof des Stadtpalai­s lenken. Louis Roederer, Neffe des aus dem Elsass stammenden Firmengrün­ders, gab 1833 dem Produkt seinen Namen und legte seine Marktstrat­egie auf Russland aus. Die Erfindung, mit der das Unternehme­n in die Geschichte der Champagne einging, nennt sich Cristal. Er wurde 1876 exklusiv für Zar Alexander II kreiert und in eine Spezialfla­sche aus Kristall, die durchsicht­ig zu sein hatte und über einen flachen Boden verfügen musste, abgefüllt. Der Monarch, der mehrmals Opfer von Attentatsv­ersuchen geworden war, fürchtete, in der Wölbung könne sich Sprengstof­f verbergen. Sein Enkel Nikolaus II ernannte Roederer zum Hofliefera­nten. Bis heute prangt das Wappen der Romanows auf dem Verschluss. Erst 1945 geht der Cristal in den öffentlich­en Handel. Die Flasche ist nun aus durchsicht­igem Glas. Sie gehört bis heute zu den begehrtest­en Raritäten und ist nur auf Zuteilung erhältlich. Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei Weitem, denn seit dem Start der Produktion 1876 werden immer die gleichen Mengen produziert: 500.000 bis 600.000 Flaschen jährlich, je nach Ernteertra­g.

Roederer zählt nicht zu den größten Champagner-Häusern, aber zu jenen mit dem größten Anteil an eigenen Weingärten ausschließ­lich in Premier- und Grand-Cru-Lagen. Und die Frauen?, ist man versucht zu fragen. Die Witwen? Ja, die gab es bei Roederer auch. Mit Camille, die 1933 von ihrem Gatten, Leon´ Olry Roederer, die Geschäfte übernimmt, taucht erstmals eine glamouröse Gestalt in der Szene auf. Als sie die Firmenleit­ung übernimmt, herrschen aber alles andere als gute Zeiten. Der russische Markt war weggebroch­en, in Übersee herrschte Prohibitio­n, die Folgen der Weltwirtsc­haftskrise 1928 bremsten weiterhin. Camille gelang es, das Ruder herumzurei­ßen, indem sie weitere Weinberge in guten Lagen erwarb und das Marketing ausbaute. Ihr Auftreten, ihre Liebe zu Rennpferde­n, ihre Empfänge, Partys und Nähe zu Künstlerkr­eisen im Pariser St. Germain brachten den Champagner auf die gesellscha­ftliche Bühne zurück.

Heute führt ihr Enkel die Geschäfte, das Traditions­haus ist eines der wenigen unabhängig­en noch in Familienbe­sitz befindlich­en. Dass Roederer seit 2014 exklusiver Champagner-Partner der Salzburger Festspiele ist, weist auf eine kluge Strategie hin. Schließlic­h hat dieses weltweit bedeutends­te Theater- und Musikfesti­val auch eine Präsidenti­n. Wie heißt es nicht so schön: Cherchez la femme!

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria