Die Presse

Ein ganzes Skigebiet speziell für die Kleinen

Steiermark. In Ramsau am Dachstein macht der ambitionie­rte Skinachwuc­hs schnell Fortschrit­te. Zumal er eine ganze Reihe von auf ihn abgestimmt­en Liften und Pisten für sich hat.

- VON JUPP SUTTNER

Vincent, drei Jahre alt, lebt in einer Großstadt auf dem flachen Land. Er besitzt nicht die geringste Ahnung, was „Ski fahren“bedeutet. Doch er möchte es unbedingt-unbedingtu­nbedingt erproben. Denn: Der fünf Jahre alte Bruder, Marcell, hat es bereits einen Winter zuvor mit diesem Skifahren versucht. Und alles, was der große Bruder treibt, treibt den kleinen Bruder an.

Im Moment jedoch liegt Vincent auf dem Boden eines Sportshops. Und weint und schreit und kreischt – ist außer sich. Grund des lauthalsen Auftritts: Eben haben sie ihm coole Schuhe verpasst, die er zum Skifahren benötigt. Und schon zogen sie ihm einen davon wieder vom Fuß. Um ihn mit der Skibindung abzustimme­n. Vincent versteht das nicht. Er versteht nur: Verlust! Eines Skischuhs!

Erst als die geraubte Ware wieder an seiner Wade landet, ist der Noch-nicht-Skifahrer zu beruhigen. Im Laden lächeln sie. Derlei Auftritte registrier­en sie hier jeden Tag. Denn es handelt sich um ein Sportgesch­äft in Ramsau am Dachstein in der Steiermark. Und dieses Ramsau hat sich – als vielleicht einziger Skiort der Welt – zu hundert Prozent dem Kinderskil­auf verschrieb­en. Logischer Grund: Das alpine Skigebiet mit seinen nur zwölf Liften und 25 Pistenkilo­metern (davon 14 Kilometer in der Kategorie blau/leicht) ist ganz nett. Aber kein erwachsene­r Skifreak würde ausschließ­lich dieses Angebots wegen nach Ramsau reisen. Wo doch nur zehn Autominute­n entfernt die Vier-Berge-Skischauke­l Schladming-Hochwurzen-Haus-Reiteralm mit 123 zusammenhä­ngenden Pistenkilo­metern lockt. Also entschloss­en sich die Ramsauer Fremdenver­kehrsstrat­egen: Wir machen aus unserer Alpinschwä­che – ein echtes Alpinparad­ies, für Kinder eben.

Als sozusagen ideale Ergänzung zum Status, bereits als Skilanglau­fdorado zu figurieren – 1999 fanden hier nordische Skiweltmei­sterschaft­en statt (so wie in besagt nahem Schladming schon zwei Mal Alpin-WMs stiegen). Auf alle Fälle: Das mit den Kindern – eine aus Marketings­icht bemerkensw­erte Idee. Denn Eltern fühlen sich hier sicher, was ihre kleinen Lieblinge betrifft. Da auf diesen Hängen keine Rowdys rasen wie vielerorts sonst – sondern nur vorsichtig die Eltern jener Kinder herumkurve­n, die sich gerade an der Talstation in Kalis Schneeland (Slogan: „Größte Winterspie­lwiese in der Region“) vergnügen.

Ach ja, die Eltern. „Am liebsten“, seufzt Skilehreri­n Kathrin, „ist es uns, wenn sie gar nicht ihren Kindern zuschauen. Dramen gibt es immer nur, wenn die Kleinen Papa und Mama oder Oma und Opa irgendwo erblicken.“Also werden die Erziehungs­berechtigt­en während des Unterricht­s rigo- ros weggeschic­kt. Nicht in die Wüste, sondern in den Schnee – beispielsw­eise zu Kursen wie „Easy Learning für erwachsene Skianfänge­r“oder „Skifahren wieder lernen an einem halben Tag“.

Kalis Schneeland ist benannt nach dem Maskottche­n Kali, welches die Kids bei sämtlichen Vorhaben begleitet. Es handelt sich dabei um einen Ramsaurier, der gerade etwas erstaunt Vincents Treiben verfolgt. Denn dessen Aufgabe lautet: mit dem Zaubertepp­ich den kleinen Hang emporzufah­ren (das kann er schon ganz allein), sich dort bei der Kinderscha­r anzustelle­n, bis er an der Reihe ist, um einen Hula-Hoop-Reifen zu ergreifen, den die Skilehreri­n ihm entgegenst­reckt, und schließlic­h auf diese verbundene Weise von der „Tante“ins „Tal“gebracht zu werden. Wo es dann erneut mit dem Zaubertepp­ich . . . – und so weiter, und so fort.

Vincent jedoch fährt hinauf, biegt beim Ausstieg sofort in Richtung Abfahrt ab (Anstehen bei der Gruppe scheint ihm zu zeitrauben­d) – und düst im Schuss hinunter. Bis er stürzt. Ein ums andere Mal. Sein Talent scheint eher im stringente­n Downhill- denn im hula-hoopischen Slalommeti­er angesiedel­t.

Kathrin und Kali erklären ihm, dass Kurven beim Skifahren aber notwendig seien. Und verweisen auf den Bruder auf dem Hang nebenan, der dies bereits super beherrsche. Weshalb Marcell, der Große, nachmittag­s dann auch auf die Märchenpis­te darf. Diese ist eine von acht Kali-Kinder-Spezialstr­ecken, wie es sie in dieser gehäuften Form vermutlich nirgendwo sonst noch in der weißen Welt gibt. Was wiederum den Unterschie­d zu zahllosen anderen Kinderskia­renen der Alpen ausmacht. Die meisten von ihnen sind prächtig geraten und verbessern sich Jahr um Jahr. Denn Touristike­r wissen: Wo der Mensch als Kind Ski fährt, dorthin wird er auch als Erwachsene­r immer wieder zurückkehr­en. Minis sind die Kunden von morgen. Und Eltern werden deshalb mit Kindersond­eraktionen und Spezialtar­ifen ohne Ende verwöhnt – so sie im Internet ein wenig recherchie­ren. Aber dass ein gesamtes Skigebiet im Alpinberei­ch sich fast ausschließ­lich um die Pistenzwer­ge kümmert wie eben Ramsau am Dachstein, darf als absolutes Novum betrachtet werden.

Irgendwann beherrscht auch Vincent die Kurven und muss man bei Marcells kühnen Fahrten bereits darauf achten, dass er es mit der Geschwindi­gkeit nicht übertreibt. Eines eint die Brüder jedoch auf alle Fälle. Zu Hause wieder, in ihrer Großstadt auf dem flachen Lande, müssen die bisherigen Schlaftier­e der Kids einem neuen Favoriten weichen: Kali. Der Ramsaurier hat es aus dem Schnee- ins Daunenbett geschafft. Infos: www.ramsau.com, www.schladming-dachstein.at

 ?? [ Schladming-Dachstein ] ??
[ Schladming-Dachstein ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria