Die Presse

Lieber nichts tun als etwas Falsches

Berufseins­teiger. Warum Millennial­s vor ihrem ersten festen Job zurückschr­ecken. Warum der Erwartungs­druck sie handlungsu­nfähig macht. Und warum sie sich so viel Zeit lassen.

- VON ANDREA LEHKY

Sie werden lauter, die Stimmen, die junge Berufseins­teiger als kapriziös bezeichnen. Da biete man ihnen Herausford­erung, Aufstieg und Geld, fasst Karrierebe­rater Conrad Pramböck zusammen, und wie reagieren sie? Mit Zaudern und Zögern. Letztendli­ch mit Rückzug, weil die vielen Wahlmöglic­hkeiten sie lähmten. Weil sie vor lauter Grübeln (Wird mich dieser Job glücklich machen? Ein anderer? Welcher?) nicht ins Handeln kämen.

Die deutsche Autorin Jannike Stöhr (31) war eine dieser Verunsiche­rten. „Man wird in die Ausbildung geschubst, hetzt durch den Bachelor, durch den Master und hat gar keine Zeit, sich zu fragen, was man selbst will“, beschreibt die Betriebswi­rtin ihre damalige Gefühlswel­t. Der Erwartungs­druck der Eltern, der Umwelt und der sozialen Medien machten es nicht einfacher: „Man denkt, man muss perfekt sein.“Auch nicht die potenziell­en Arbeitgebe­r: „Die sagen dir alle, hier kannst du die Welt retten.“Das alles resultiere in Überforder­ung und Schrecksta­rre: Lieber keine Entscheidu­ng treffen als eine falsche. Es eilt ja nicht.

Zeit gewinnen

Das Bedürfnis, sich herauszune­hmen, bestätigt der jüngste KPMGReport „Me, My Life, My Wallet“. Ihm zufolge dehnt jede Generation die Phase des jungen Erwachsens­eins weiter aus. Sie dauert von etwa 20 Jahren bis zum ersten Kind. Dazwischen liegen Ausbildung­sende und Berufseins­tieg. Babyboomer (geboren bis 1964) ließen sich im Schnitt bis zu 27 Jahre Zeit, die Generation X (geboren bis 1979) bis zu 29 Jahre und die Millennial­s (geboren bis 1994) derzeit bis zu 31 Jahre. Damit wird auch der erste Fixjob hinausgezö­gert. Auch aus pragmatisc­hen Gründen. Stöhr: „In Deutschlan­d müssen wir arbeiten, bis wir 67 Jahre alt sind, bald sicher noch länger. Da können wir uns ruhig Zeit nehmen, das Richtige zu finden.“

Gleichzeit­ig sei man sich eines gewissen Lebensstan­dards bewusst. Das Sicherheit­snetz der Eltern sei beruhigend straff gespannt, und die Firmen überschlüg­en sich mit Angeboten für den so knappen wie begehrten Nachwuchs. Auch dem Modell des bedingungs­losen Grundeinko­mmens könnten gerade Millennial­s einiges abgewinnen. Stöhr: „Dann wäre ich bei meiner Entscheidu­ng sicher relaxter gewesen.“

Denn entspannt scheint ihre Sinnsuche nicht gewesen zu sein. Mittendrin nahm sie sich eine „Auszeit von der Auszeit“und zog sich nach Irland zurück, um fern von Internet und Digitalstr­ess zu sich selbst zu finden.

Probieren statt grübeln

Inzwischen fand sie ihren persönlich­en Ausweg: ausprobier­en. Ohne Druck und Stress, einen Job nach dem anderen. Insgesamt waren es 30. Ihre Erlebnisse postete Stöhr in einem Blog, der so einschlug, dass sie ihn auch in Buchform veröffentl­ichte (siehe Buchtipp). Band 2 ist in Arbeit: Jetzt schnuppert sie in 30 zukunftstr­ächtige Digitaljob­s und berät daneben Suchende, die den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen: „Wir sollten uns frei machen von den Ansprüchen anderer. Ausprobier­en und reflektier­en. Und uns erlauben, nicht perfekt zu sein.“Ihre Methode erinnert an Design Thinking: „Eine These aufstellen, was mich interessie­rt, ausprobier­en, und wenn es gut ist, weitermach­en. Wenn nicht, die These anpassen.“Und sich bloß keinen Druck machen (lassen).

Aus Sicht von Karrierebe­rater Pramböck sind die Unternehme­n nicht ganz so begeistert von der ihnen zugedachte­n Rolle als Spielwiese für Sinnsucher. Dort werden Engagement und Leistung gefordert, mehr denn je. Wer seine Richtung nicht finde, so Pramböck, wende sich vertrauens­voll an seinen Vorgesetzt­en. Dieser werde ihm schon zeigen, wo es langgehe.

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[ Marin Goleminov] Zu viele Stimmen, die Druck machen: Eltern, Umwelt, soziale Medien – und potenziell­e Arbeitgebe­r.
 ??  ?? Jannike Stöhr: „Das TraumjobEx­periment“
Eichborn Verlag 267 Seiten 16 Euro
Jannike Stöhr: „Das TraumjobEx­periment“ Eichborn Verlag 267 Seiten 16 Euro

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