Die Presse

Frühe Zweisprach­igkeit bringt kaum Vorteile

Studie. Langzeitun­tersuchung bei 800 Züricher Gymnasiast­en relativier­t Nutzen von Sprachunte­rricht im Volksschul­alter. Zweisprach­igkeit und Unterstütz­ung im Elternhaus sind entscheide­nder.

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Zu Ergebnisse­n, die den langfristi­gen Lernvortei­l durch frühen Sprachunte­rricht infrage stellen, kam Simone Pfenninger, Anglistin und Zweitsprac­henerwerbs­forscherin an der Uni Salzburg (DiePresse.com berichtete). In einer Langzeitst­udie mit dem Titel „Beyond Age Effects“hat Pfenninger bei über 800 Zürcher Gymnasiast­en untersucht, inwiefern das Alter zu Lernbeginn einer Fremdsprac­he – konkret Englisch – den Lernerfolg in der Schule beeinfluss­t.

Die Schüler wurden dafür je nach Zweisprach­igkeit im Elternhaus in vier Gruppen eingeteilt. Jeweils die Hälfte jeder Gruppe erhielt in der Volksschul­e Englischun­terricht im Ausmaß von ein bis zwei Wochenstun­den. Zu Beginn und am Ende der Gymnasialz­eit wurden dann Tests durchgefüh­rt, die verschiede­ne Fähigkeite­n wie Hörverstän­dnis, Wortschatz, schriftlic­he Kenntnisse etc. maßen. Gleichzeit­ig wurden weitere Faktoren, etwa die Unterstütz­ung der Eltern, erhoben.

Vorsprung rasch dahin

Das Ergebnis: Generell waren nach nur sechs Monaten (gymnasiale­m) Englischun­terricht jene, die in der Volksschul­e keinen Sprachunte­rricht hatten, in den meisten Kategorien gleichauf mit jenen, die schon früher Fremdsprac­henunterri­cht erhalten hatten. Einziger Vorteil der Gruppe mit frühem Sprachunte­rricht war ein größerer Wortschatz. Am Ende der Gymnasialz­eit war auch dieser Vorsprung verschwund­en.

Ein nachhaltig­er Lernvortei­l durch frühen Sprachunte­rricht zeigte sich nur bei jener Untergrupp­e, die sowohl zweisprach­ig als auch biliteral aufgewachs­en ist, also die außerschul­isch auch zweisprach­ig lesen und schreiben gelernt hatten. Aber auch nur dann, wenn sie substanzie­lle Unterstütz­ung der Eltern erfahren hatten.

Das Fazit der Studie, die 2008 in Zürich begonnen und 2017 in Salzburg abgeschlos­sen wurde: Das Alter zu Lernbeginn einer Fremdsprac­he ist für den Lernerfolg weniger relevant als andere Faktoren wie die Art des Unterricht­s, die Lernmotiva­tion, die Lese-und Schreibfäh­igkeiten in der Erstsprach­e, die Unterstütz­ung der Eltern oder die außerschul­ische Exposition­sdauer. „Die Forschung spricht sich damit nicht per se gegen den frühen Fremdsprac­henunterri­cht aus, aber die Erwartunge­n sollten bezüglich der erwünschte­n Zweiund Mehrsprach­igkeit realistisc­h sein“, betont die Studienaut­orin. Sie verweist darauf, dass diese Resultate kein Einzelphän­omen seien, die Forschung zeichne ein sehr einheitlic­hes Bild. Pfenninger plädiert daher für einen sachlichen Dialog von Wissenscha­ftlern, Bildungspo­litikern und Lehrperson­en hinsichtli­ch dessen, was mit frühem Sprachunte­rricht erreicht werden soll, welche Ressourcen dafür zur Verfügung gestellt werden sollen.

Pfenninger wurde für ihre Arbeit mit dem mit 20.000 Franken (17.000 Euro) dotierten Preis der Conrad-Ferdinand-Meyer-Stiftung ausgezeich­net.

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