Die Presse

NS-Liedtexte: „Da gibt es kein Pardon“

Interview. NS-Opfer Herbert Löwy und Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka über das Gedenken und die Aufarbeitu­ng von Geschichte.

- VON MARTIN FRITZL Die Vollversio­n des Interviews siehe: www.diepresse.com

Parlaments­präsident Sobotka fordert Parteien zur Aufarbeitu­ng ihrer Geschichte auf und will NS-Anklänge gerichtlic­h verfolgt sehen.

Die Presse: Was bedeutet das Gedenken an die NS-Zeit für Sie als Betroffene­n? Herbert Löwy: Angenehm ist es nicht, wenn man zurückdenk­t, wenn man den Großteil der Familie verloren hat. Aber es ist schön, dass der Staat Österreich das macht und dass das nicht in Vergessenh­eit gerät.

Sie waren beim Anschluss Österreich­s neun Jahre alt. Wie haben Sie die Stimmung im Land damals erlebt? Damals war die Bevölkerun­g zu über neunzig Prozent für Hitler. Ich kann mich noch genau erinnern, an dem Tag, an dem Hitler Österreich besucht hat, sind die Leute mit Leitern auf die Mariahilfe­r Straße gerannt, nur um den Führer zu sehen. Das ist mir als Kind damals komisch vorgekomme­n.

Wie hat sich Ihr Leben verändert? Ich war damals in der dritten Klasse Volksschul­e. Ich habe die Schule verlassen müssen und bin im Hundsturm in die Schule gekommen, das war die Schule für jüdische Kinder. Das hat aber nicht lange gedauert, dann ist diese Schule auch geschlosse­n worden und ich bin in die Sperlgasse gekommen, auch nur für kurze Zeit.

Wo haben Sie im Untergrund gelebt? Ich habe mit meiner Mutter im siebenten Bezirk gewohnt, in dem Haus, in dem meine arischen Großeltern eine Fleischhau­erei gehabt haben.

Es ist schwer vorstellba­r, was es für einen Elf- oder Zwölfjähri­gen heißt, sich in Wien zu verstecken und jeden Tag um sein Leben Angst haben zu müssen. Als Halbwüchsi­ger oder als Kind kommt man vielleicht sogar leichter darüber hinweg, weil man das als Abenteuer sieht. Man weiß, man muss auf dies und jenes aufpassen und darf nicht jedem die Tür aufmachen.

Und haben sie die Hoffnung oder das Bewusstsei­n gehabt, dass diese Zeit auch irgendwann zu Ende sein wird? Jeder Angriff der Alliierten war für mich ein Hoffnungss­chimmer. Das ist paradox, aber ich habe gewusst, das ist ein Beitrag zum Ende des Regimes.

Wie ist es Ihrer Familie ergangen? Mein Vater ist nach Belgien und Frankreich emigriert und dort in das KZ in Gurs gekommen. Er hat aber überlebt und ist ungefähr ein halbes Jahr nach dem Krieg nach Wien zurückgeko­mmen. Aber ein Großteil meiner jüdischen Verwandten ist umgekommen.

Herr Sobotka, welche Lehren ziehen Sie aus der Geschichte des Herrn Löwy? Wolfgang Sobotka: Ich bin noch immer erschütter­t, wenn ich Menschen wie Ihnen begegne und sie erzählen von dieser Zeit.

War die Causa Waldheim eine Zäsur, was den Umgang der Österreich­er mit ihrer Vergangenh­eit angeht? Nicht nur. Schon in den 70er Jahren wurden die großen Geschichte­n in den Krankenans­talten, etwa am Steinhof, aufgedeckt. Während der Minderheit­sregierung Kreisky wurde die Rolle von Friedrich Peter hinterfrag­t. Dann kam sicherlich das große Thema Waldheim auf, der mit seiner eigenen Geschichte nicht so reflektier­t umgegangen ist. Erst 1989 war es Franz Vranitzky, der die Rolle des offizielle­n Österreich, der die Täterrolle offiziell einbekannt hat.

Hätte nicht die ÖVP auch anders agieren müssen damals? Aus heutiger Sicht gesehen hätte man damals sicher anders vorgehen müssen. Aber man hat dann ein klares Bewusstsei­n gezeigt und ist das in der Ära Schüssel noch einmal aktiv angegangen.

Was kann und muss man heute da noch tun? Die Gedenkstät­te Mauthausen versucht, das Leid der Opfer begreifbar zu machen. Ich finde die didaktisch­en Ansätze, die Jugend zu konfrontie­ren, gut. Die was bewirken sollen? Dass sie zum Beispiel den Mut haben, den immer noch existieren­den versteckte­n Antisemiti­smus zur Anzeige zu bringen. Wir haben ein sehr restriktiv­es Gesetz. Ich kann nur alle ermuntern, das den gerichtlic­hen Weg gehen zu lassen, um zu zeigen, da gibt es keinen Spielraum.

Das allein wird aber nicht reichen. Nein, wir müssen auch beim geschichtl­ichen Bewusstsei­n ansetzen. Wir bringen jeden Polizisten in der Ausbildung ins KZ Mauthausen. Wir sollten jetzt etwa auch bestimmte Migranteng­ruppen hinbringen, um zu zeigen, wo der Antisemiti­smus hin führt.

Die Burschensc­hafter auch? Die Aufarbeitu­ng jeder Partei mit ihrer Geschichte ist zwingend notwendig. Aber ein Liedtext, der Anklänge an den Nationalso­zialismus beinhaltet, ist strikt verboten. Wo das passiert, muss man das gerichtlic­h verfolgen. Da gibt es kein Pardon.

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Zeitzeuge Herbert Löwy und Nationalra­tspräsiden­t Wa diskutiere­n über die Folgen der nationalso­zialistisc­hen Vergangenh­eit.
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[ Katharina F.-Roßboth ]

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