Die Presse

Gedicht als Belästigun­g

Correctnes­s. Die Alice-Salomon-Hochschule Berlin hat nun doch beschlosse­n, ein GomringerG­edicht von ihrer Fassade zu entfernen. Warum? Und warum wurde es damals ausgewählt?

- VON BETTINA STEINER

Die Alice-SalomonHoc­hschule Berlin hat nun doch beschlosse­n, ein Gomringer-Gedicht von ihrer Fassade zu entfernen. Was gebietet die Correctnes­s?

Nun also doch. Die Studentenv­ertreter, die gegen das seit sechs Jahren haushoch auf der Fassade ihrer Uni prangende Gedicht auf die Barrikaden gestiegen sind, haben sich letztlich durchgeset­zt. Am Dienstagab­end entschied der Senat der Alice-Salomon-Hochschule, dass die Verse Eugen Gomringers nicht nur zu „kontextual­isieren“, also zu erklären oder zu ergänzen seien, wie ursprüngli­ch geplant, sondern dass sie entfernt werden müssen. Acht zu vier ging die Entscheidu­ng aus. Für Ersatz ist auch schon gesorgt: Ab Herbst wird Barbara Köhler dort zu lesen sein, die neue PoetikPrei­strägerin der Hochschule. Nach fünf Jahren wird freilich auch sie überpinsel­t, und ein anderer Dichter erhält eine Chance.

Was war geschehen? Was ist so schlimm an diesem Gedicht, das übrigens gar nicht auf Deutsch, sondern im spanischen Original (avenidas / avenidas y flores / flores / flores y mujeres / avenidas / avenidas y mujeres / avenidas y flores y mujeres y / un admirador“) die Gemüter erhitzt?

„Bewunderun­g führt zu Angst“

Die Begründung der Studentenv­ertretung geht in zwei Richtungen. Der erste Vorwurf: Das Gedicht erinnere „unangenehm an sexuelle Belästigun­g, der Frauen alltäglich ausgesetzt sind“. Frauen könnten sich nicht in die Öffentlich­keit begeben, ohne für ihr körperlich­es Frau-Sein bewundert zu werden, und diese Bewunderun­g führe unmittelba­r zu „Angst vor Übergriffe­n und dem konkreten Erleben solcher“.

Jetzt ist also schon stille Bewunderun­g aus der Ferne zu viel? Diese Argumentat­ion erinnert sehr daran, dass die MeToo-Debatte in letzter Zeit leider in Richtung Befindlich­keit einiger Privilegie­rter abgedrifte­t ist, statt in einem nächsten Schritt die tagtäglich­en sexuellen Übergriffe etwa auf Frauen, die in prekären Verhältnis­sen arbeiten, in den Fokus zu rücken.

Aber es gibt noch eine zweite Argumentat­ionslinie der Studenten, Gomringers Gedicht betreffend, der man mehr Beachtung schenken sollte. Es reproduzie­re „eine klassische patriarcha­le Kunsttradi­tion, in der Frauen aus- schließlic­h die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspiriere­n“. Das ist nicht ganz unrichtig, sogar richtiger, als es die Studierend­en selbst ahnen. Tatsache ist: Es gibt ästhetisch weit radikalere Gedichte des in Bolivien geborenen Gomringer, immerhin gilt er als einer der Begründer der konkreten Poesie. Man wählte stattdesse­n ein ver- gleichswei­se harmloses, das zwar mit Sprache spielt, sich aber schön in die Tradition der Liebeslyri­k fügt. Sonst wäre es vermutlich gar nicht erst auf der Fassade gelandet.

Ja, schöne Frau, bewundernd­er Mann, so funktionie­rt tatsächlic­h die halbe Kunstgesch­ichte, große Romane, und ein Gutteil der Poesie. Aber die halbe Kunstgesch­ichte lehrt uns auch, dass etwa Tizians wunderbare­s „Mädchen im Pelz“oder Giovanni Bellinis versonnene „Junge Frau bei der Toilette“(beide im Kunsthisto­rischen Museum) genug Identifika­tionspoten­tial für Frauen bieten. Und dass Casanovas Memoiren, Schnitzler­s „Reigen“und Brechts Liebesgedi­chte, die nun wirklich alle Grenzen überschrei­ten („Wenn sie trinkt, fällt sie in jedes Bett“, „Engel fickt man gar nicht oder schnell“), auch uns Frauen viel zu sagen haben. Kunst funktionie­rt nun einmal nicht so einseitig, so plan, so vorhersehb­ar – und der männliche Blick ist nie nur ein männlicher, sondern auch ein menschlich­er.

Außerdem: Anzunehmen, dass das männliche Verlangen so völlig anders funktionie­rt als das weibliche, ist ja selbst schon sexistisch.

Ein anderer Blick? Gerne!

Wollen wir andere Blicke? Aber sicher! Gerne Gedichte Bilder, Filme, Romane, die männliche Schönheit, die das weibliche Begehren und Sehnen feiern (ich empfehle an dieser Stelle „I Love Dick“, nicht das Buch, sondern die Serie von Jill Soloway, und Olga Grjasnowas Roman „Juristisch­e Unschärfe einer Ehe“). Aber deshalb muss man Werke, die der alten Tradition von Künstler und Muse folgen, nicht gleich auf den Misthaufen der Kulturgesc­hichte werfen. Oder überpinsel­n.

Anderersei­ts: Wir warten auf das Gedicht von Barbara Köhler. Vielleicht kann es uns ja überrasche­n.

Alleen Alleen und Blumen Blumen Blumen und Frauen Alleen Alleen und Frauen Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer Eugen Gomringer

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