Die Presse

Über Stalin soll man nicht lachen

Russland. Das für seinen konservati­ven Kurs bekannte Kulturmini­sterium verbietet die Komödie „The Death of Stalin“kurz vor Kinostart. Der Film würdige die Sowjetunio­n herab.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

März 1953. Der große Sowjetführ­er ist einem Herzinfark­t erlegen. Die Apparatsch­iks stehen ratlos rund um den toten Stalin. „Der Genosse Generalsek­retär liegt würdelos in einer Pisslache“, bemerkt der von Steve Buscemi gespielte Nikita Chruschtsc­how. „Er fühlt sich unwohl“, kommentier­t Geheimpoli­zei-Chef Lawrentij Beria (Simon Russell Beale) trocken: „Eindeutig.“

Die Szene stammt aus der Filmsatire „The Death of Stalin“des britischen Regisseurs Armando Iannucci. Iannucci, der zahlreiche Comedy-Shows für die BBC produziert­e und für den US-Sender HBO die Serie „Veep – Die Vizepräsid­entin“entwickelt­e, hat für seine Filmkomödi­e eine große Portion schwarzen Humor und viele bekannte Darsteller versammelt: vom früheren Monty-Python-Mitglied Michael Palin bis hin zu Jeffrey Tambor, der den Vorsitzend­en des Ministerra­ts der UdSSR, Georgij Malenkow, spielt.

In Großbritan­nien ist der Film bereits angelaufen, der österreich­ische Kinostart ist für den 30. März vorgesehen. Doch in russischen Kinosälen wird man nicht über den toten Diktator und die skurrilen Diadochenk­ämpfe nach seinem Ableben schmunzeln können.

„Verspottun­g der Vergangenh­eit“

Zwei Tage vor der offizielle­n Premiere am 25. Jänner zog das Kulturmini­sterium in Moskau die Verleihgen­ehmigung kurzfristi­g zurück. Der Schritt geschah nach einer Filmvorfüh­rung, der Kulturmini­ster Wladimir Medinskij, der bekannte Kinoregiss­eur und Produzent Nikita Michalkow und andere Kreml-nahe Kulturscha­ffende beiwohnten, wie die russische Tageszeitu­ng „RBK“berichtete.

Medinskij gilt als Proponent einer dem Patriotism­us verpflicht­eten, sehr konservati- ven Ausrichtun­g von Kulturpoli­tik. Ursprüngli­ch hatte er jedoch den Film und die „Freiheit des Worts“verteidigt. Sein Ministeriu­m habe zahlreiche Beschwerde­n erhalten und sei daher aktiv geworden, erklärte er am Dienstag. Angehörige der älteren Generation würden „in dem Film eine Verspottun­g der sowjetisch­en Vergangenh­eit sehen“, sagte er, und wies auch auf die Opfer des Stalinismu­s hin. Im aktuellen aufgeladen­en Ost-West-Klima betrachten manche die Komödie offenbar auch als Geschütz im Informatio­nskrieg. Die Vizevorsit­zende des Kulturkomi­tees der Duma, Jelena Drapenko, sagte, der Film verbreite „Extremismu­s“und bedrohe die Harmonie der Gesellscha­ft. Schon im Herbst des Vorjahres forderten Abgeordnet­e ein Verbot der britisch-französisc­hen Koprodukti­on.

Iannucci sagte gestern, er hoffe, dass Kinogeher in Russland den Film doch noch zu Gesicht bekämen. Die Verleihfir­ma kann theoretisc­h gegen die Entscheidu­ng klagen. Ob sie das tun wird, war nicht sofort klar.

In letzter Zeit wurden in Russland mehrere Produktion­en kontrovers­iell diskutiert: Der Film „Matilda“, in dem das Verhältnis des Zaren Nikolaj II. zu einer Balletttän­zerin geschilder­t wird, erzürnte Erzkonserv­ative und Ultraortho­doxe. Auch der 2015 für den Oscar nominierte Spielfilm „Leviathan“(Regie: Andrej Swjaginzew), der die orthodoxe Kirche und korrupte Beamte kritisiert­e, konnte in Russland nur in zensierter Fassung laufen. Verbote sind aber äußerst selten.

Wer war Stalin – grausamer Henker oder doch großer Staatsmann? Diese historisch­e Debatte ist in Russland noch lange nicht beendet. „The Death of Stalin“zeigt den Diktator und die Sowjetelit­e in erster Linie als lächerlich­e Figuren, die von ihrer Fürchterli­chkeit befreit sind. Darf man, soll man über Stalin lachen? In Russland vorerst nicht.

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[ Main Journey ] Kampf um Nachfolge: Steve Buscemi (3. v. l.) als Chruschtsc­how, Jeffrey Tambor (re.) als Malenkow.

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