Fallenstellen als „Geschäftsmodell“
Zum Fall Toni Sailer. Die Erinnerungen eines damals involvierten und in Warschau stationierten Diplomaten.
An der österreichischen Vertretung in Warschau war ich 1974 Botschaftssekretär. Von der Verhaftung Toni Sailers erfuhr ich an meinem Schreibtisch. Zunächst informierte ich den Botschafter. Schon kurz darauf erhielt er einen Anruf von Außenminister Rudolf Kirchschläger.
Bei der Beurteilung der nun folgenden diplomatischen und politischen Aktivitäten muss man sich in die 1970er-Jahre zurückversetzen. Der Botschaft war bekannt, dass westliche Besucher des kommunistischen Polen immer wieder in Fallen gelockt wurden. Das heißt, sie wurden dazu gebracht, sich so zu verhalten, dass polnische Rechtsvorschriften verletzt wurden.
Ich erinnere mich an einen Österreicher, der von polnischen Trinkkumpanen dazu verleitet wurde, in einer Kneipe Nazi-Lieder zu singen. Er wurde verhaftet. Für seine Freilassung wurde eine Kaution verlangt. Nach unserem Verständnis war das eine Art „Geschäftsmodell“, um an harte Devisen zu kommen. Die Kaution musste vom Betroffenen aufgebracht werden, das Außenministerium war gegebenenfalls bei der Übermittlung behilflich.
Botschaften oder Konsulate kümmern sich selbstverständlich um österreichische Staatsbürger, die im Ausland in Schwierigkeiten geraten, auch wenn diese selbst verschuldet sind. Zur Zeit des Franco-Regimes in Spanien habe ich wegen eines Drogendeliktes inhaftierte Österreicher besucht ebenso wie im kommunistischen Polen wegen anderer Vergehen.
Diese Pflicht der Botschaft gilt natürlich besonders in Ländern, deren Justiz korrupt und/ oder der Politik unterworfen ist. Auch Toni Sailer sollte ich besuchen, aber dazu ist es nicht gekommen, da nach Hinterlegung einer Kaution seiner Ausreise nichts mehr im Wege stand. Ich erinnere mich an ein oder zwei Besuche in der polnischen Generalprokuratur – ich glaube, ich habe dabei die Bestätigung über die Zahlung der Kaution für Toni Sailer in der Höhe von circa 100.000 Schilling überbracht. Wer das Geld aufgebracht hat, weiß ich nicht mit Sicherheit; angeblich kam es vom ÖSV.
Nach Sailers Enthaftung und Ausreise ist die betroffene Frau an der Botschaft erschienen. Sie hat von einer brutalen Vergewaltigung samt entsprechenden Verletzungen berichtet. Der Zweck des Besuchs war wohl, nach dem zumindest vorläufigen Abschluss der Angelegenheit, der für sie keinerlei Entschädigung gebracht hatte, entweder durch einen Appell an das Mitleid oder durch den Hinweis auf das mögliche Bekanntwerden unappetitlicher Details der angeblichen Vergewaltigung ein Schmerzengeld oder sonst eine finanzielle Entschädigung zu erhalten. Dass dies von ihrer Seite später nicht weiter verfolgt wurde, ist sicher auch im Lichte des kommunistischen Systems zu sehen, das genug Möglichkeiten hatte, seine Bürger zu kontrollieren.
War der Fall Toni Sailer eine ihm von polnischer Seite gestellte Falle? Schwer zu beantworten. Zumindest auf der Ebene der polnischen Regierung spricht kaum etwas dafür. Einerseits war Polen daran interessiert, Zakopane als Austragungsort von Skibewerben international bekannt zu machen – ein solcher Vorfall wäre da nicht hilfreich gewesen. Zum anderen war das kommunistische Polen damals an guten Beziehungen mit Österreich sehr interessiert. Österreich war ein bedeutender Wirtschaftspartner und dank seines neutralen Status auch ein wichtiger und unverdächtiger Ansprechpartner im Westen.