Die Presse

Tauwetter mit der Türkei

Österreich/Türkei. Der Besuch der Außenminis­terin Karin Kneissl in Istanbul soll ein neues Kapitel in den bilaterale­n Beziehunge­n eröffnen. In den großen Streitfrag­en gab es keine Fortschrit­te, aber eine atmosphäri­sche Annäherung.

- VON THOMAS VIEREGGE

In Ephesos darf wieder gegraben werden – eine Folge des Besuchs von Ministerin Kneissl in der Türkei.

Die Wellen schlugen hoch im Marmaramee­r vor Istanbul, und sie verhindert­en einen Ausflug auf die Prinzenins­eln, der bei Karin Kneissl nostalgisc­he Reminiszen­zen an Kindheitsf­erien geweckt hätte. Der Außenminis­terin war es womöglich jedoch gar nicht unrecht, dass die stürmische Überfahrt auf die beliebten Ferieninse­ln der besseren Istanbuler Gesellscha­ft – einen ehemaligen Verbannung­sort für die Brüder der Sultane – ausfiel, laborierte sie doch an einer aufziehend­en Grippe. Donnerstag­früh trat sie am Flughafen die Stippvisit­e in die Metropole am Bosporus mit 37,5 Grad an.

Absagen wollte sie sie indes nicht. Zu symbolträc­htig war der bilaterale Besuch bei ihrem Amtskolleg­en, Mevlüt C¸avus¸og˘lu, nach den Turbulenze­n der vergangene­n beiden Jahre in den Beziehunge­n zwischen Wien und Ankara. Die diplomatis­chen Wogen waren hochgegang­en nach der Forderung der Großen Koalition im Spätsommer 2016 nach Demonstrat­ionen von Erdogan-˘Anhängern in Wien und Vorarlberg, die EU-Beitrittsv­erhandlung­en abzubreche­n. Die Türkei rief ihren Botschafte­r zurück, und in der Folge forderten FPÖ-Politiker gar ein Einreiseve­rbot für den türkischen Präsidente­n.

Auf türkischer Seite war bald von „radikalem Rassismus“die Rede, von Islamo- und Xenophobie. Die Kontrovers­e um Auftritte türkischer Politiker im Westen im Vorfeld des Verfassung­sreferendu­ms in der Türkei ließ im Vorjahr die Volksseele vollends brodeln. Es brach ein Krieg der Worte aus, die Beziehunge­n der Türkei zu Berlin, Amsterdam und Wien – Städten mit großer türkischer Diaspora – taumelten dem Tiefpunkt entgegen. Erdogan˘ ereiferte sich über „Nazi-Methoden“, sein Außenminis­ter C¸avus¸og˘lu schürte eifrig mit.

Vorbei und vergessen – zumindest aufseiten der Regierung in Ankara. Der Präsident und der Außenminis­ter starteten zu Jahresbegi­nn eine Charmeoffe­nsive im Westen, mit dem Ziel, den Tourismus anzukurbel­n und Investoren anzulocken. C¸avus¸og˘lu stammt selbst aus der Urlaubsreg­ion Antalya, hier liegt sein Wahlkreis. Der Chefdiplom­at nahm sich vor, dass 2018 eine Wende einleiten möge. Während Erdog˘an im Pariser E´lyse´e-Palast um den französisc­hen Staatschef, Emmanuel Macron, buhlte, suchte C¸avus¸og˘lu die Annäherung an Deutschlan­d. Sigmar Gabriel, der deutsche Außenminis­ter, empfing ihn Anfang Jänner in seiner Heimatstad­t Goslar – und schnell war bei Tee und Kuchen im Hause Gabriel eine Freundscha­ft geschlosse­n, die noch vor einem Jahr undenkbar schien.

Begrüßung auf Türkisch

Ähnliches haben nun C¸avus¸og˘lu und Kneissl im Sinn. Sie sprachen sich bei der Pressekonf­erenz mitunter mit ihren Vornamen an, und Kneissl pries die türkische Gastfreund­schaft im Dolmabahce-¸Palast, der ehemaligen Sultanresi­denz am Bosporus. Sie eröffnete ihr Statement sogar mit einer eigens einstudier­ten Willkommen­sformel. Es sei ein „aufrichtig­es“Gespräch gewesen, man habe eine klare Sprache gesprochen – so resümierte­n beide die dreistündi­gen Unterredun­gen. Beide rühmten auch die angenehme Atmosphäre. So über- tünchen Diplomaten rhetorisch geschickt die Differenze­n in zentralen Punkten, die indessen nach wie vor bestehen. In der Frage des EU-Beitritts, bei der von der Türkei angestrebt­en Vertiefung der Zollunion, im Konflikt um die Doppelstaa­tsbürgersc­haft – nirgends gab es einen Fortschrit­t. Beide Seiten machten unmissvers­tändlich ihre Position klar. Und die beiden Außenminis­ter erklärten hinterher auch nüchtern, ein Kompromiss in den großen Streitfrag­en sei nicht zu erwarten gewesen.

Der türkische Außenminis­ter erklärte fast trotzig, dass 75 Prozent der Türken inzwischen eine Mitgliedsc­haft in der Europäisch­en Union ablehnen würden. Um kurz darauf ein Plädoyer für einen EUBeitritt zu halten: „Wir wollen nicht vor der Tür aufgehalte­n werden. Wir warten seit 60 Jahren. Wir sind ein Teil Europas, das wichtigste Land für die Sicherheit Europas.“Und obendrein ein Schlüssell­and im Zusammenha­ng mit der Flüchtling­spolitik und der Migrations­welle, wie er erinnerte.

Wieder Grabungen in Ephesos

Dennoch betonten C¸avus¸og˘lu und Kneissl unisono, sie hätten ein neues Kapitel in den bilaterale­n Beziehunge­n aufgeschla­gen. Es sei weitaus besser, miteinande­r als übereinand­er zu sprechen. C¸avus¸og˘lu formuliert­e es so: „Wir wollen nicht mehr über Pressemitt­eilungen kommunizie­ren.“Kneissl konstatier­te eine „neue Dynamik“: „Ich glaube, da ist viel im Fluss. Man kann etwas verändern.“Immerhin gab es zwei konkrete Fortschrit­te zu vermelden. Die Türkei hob den Stopp der archäologi­schen Grabungen in Ephesos umgehend wie- der auf – ein symbolisch­er Akt. Zudem sollen Wirtschaft­skommissio­nen eine verstärkte wirtschaft­liche Kooperatio­n und neue Projekte ins Visier nehmen und prüfen.

Am Rande erörterten die Chefdiplom­aten die jüngste Militäroff­ensive der Türkei in den syrischen Kurdengebi­eten. C¸avus¸og˘lu pocht auf eine 30 Kilometer breite Pufferzone. Kneissl brachte die Verfolgung der Dissidente­n und Schriftste­ller in der Türkei zur Sprache.

Beide Seiten waren jedoch bemüht, das Positive herauszust­reichen. Das Gastgesche­nk, das Karin Kneissl mitbrachte, sollte dies illustrier­en. Sie überreicht­e ihrem Kollegen ein Faksimile des Friedensve­rtrags von Passarowit­z, der vor 300 Jahren den Krieg des Habsburger­reichs mit den Osmanen beschloss und eine diplomatis­che Ouvertüre einleitete.

 ?? [ Reuters ] ?? Außenminis­terin Kneissl und ihr türkischer Kollege Cavu¸¸soglu˘ waren bemüht, das Positive des Treffens herauszust­reichen.
[ Reuters ] Außenminis­terin Kneissl und ihr türkischer Kollege Cavu¸¸soglu˘ waren bemüht, das Positive des Treffens herauszust­reichen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria