Die grantigste Stimme Englands ist tot
Nachruf. Mark E. Smith, der streitlustige Sänger der Post-Punk-Band The Fall, ist 60-jährig gestorben.
„Ranting“nennt man es im Vereinigten Königreich, wenn ein Mann im Pub nach einigen Pints die Stimme erhebt, um ohne Punkt und Beistriche auf Regierung, Brauereien und/oder Wetter zu schimpfen. Mark E. Smith, ehemaliger Dockarbeiter aus Manchester, hat das mit seiner Band The Fall – benannt nach dem Roman von Albert Camus – zur Kunstform erhoben. Gegründet wurde die Band 1976, rechtzeitig für die Punk-Explosion, die ja einiges an Gift und Galle verschoss. Doch Mark E. Smith hatte die giftigste und galligste Stimme von allen, und sein Grant, artikuliert im breiten Midlands-Dialekt zu den harschen PostpunkKlängen seiner Band, galt auch den Kollegen. Schon auf der zweiten Fall-Single, „It’s The New Thing“(1978), distanzierte er sich von ihnen: „They’ve got another side, pop heroes of the mind, while you suckers queue or work, money for us and play it up, we have never sold out.“
Vor seinem Hohn war auch das eigene Arbeiterklassenimage nicht sicher: In „Prole Art Threat“(1981) machte er sich darüber lustig. In „Middle Class Revolt“verspottete er die Punk-Poser in den Clubs. Freilich waren solche (bei ihm oft schwer verständlichen) Erkundungen des britischen Klassensystems nicht ganz neu im britischen Pop: Mit einer Version des Kinks-Songs „Victoria“auf dem Album „The Frenz Experiment“(1988) verneigte Mark E. Smith sich vor einem großen Vorbild, Kinks-Sänger Ray Davies. Wohl auch, indem er etwas für ihn Ungewöhnliches tat: Er sang, statt nur zu reden respektive zu ranten.
An die 30 Alben hat Mark E. Smith mit seiner Band veröffentlicht, deren Besetzung er oft änderte: Auch mit seinen Musikern war er höchst ungnädig, feuerte sie, wenn ihm danach war, und schimpfte danach gern über sie – auch in den Interviews, die bei den Musikjournalisten der Achtziger- und Neunzigerjahre als eine Art Mutprobe galten. Manchmal auch als Test der Trinkfestigkeit: Denn Mark E. Smith trank nicht gern allein. Er trank und rauchte jedenfalls beständig und viel, entsprechend angegriffen war seine Gesundheit in den letzten Jahren. Zu seinem 60. Geburtstag im März 2017 verkündete die BBC fälschlich, dass er gestorben sei. Nun ist es wahr, das teilte Bandmanagerin Pam Van Damned (der Name könnte aus einem The-Fall-Song sein) mit.
Die britische Musikszene verliert einen unfreundlichen Zeitgenossen, dessen Einfluss geblieben ist: Die Sleaford Mods aus Nottingham etwa führen seine Ranting-Kunst weiter. Auch den deutschen DiskursPop hat er beeinflusst: Auf dem ganz a` la Mark E. Smith benannten Tocotronic-Album „Wir kommen um uns zu beschweren“(1996) hieß es: „Ich habe geträumt, ich wäre Pizza essen mit Mark E. Smith, natürlich hat er mir erzählt, wie scheußlich alles ist.“(tk)