Die Presse

40 Stunden Zeitgesche­hen und das Danach

Gastkommen­tar. Politische Reformproz­esse sind, wie sich immer wieder zeigt, nur mit charismati­schen Impulsgebe­rn möglich. Bei seinem jüngsten Besuch in Berlin präsentier­te sich Bundeskanz­ler Sebastian Kurz als ein solcher.

- VON ANDREAS KIRSCHHOFE­R-BOZENHARDT E-Mails an: debatte@diepresse.com

Als er um 12:39 Uhr wieder in Schwechat landete, hatte Österreich­s junger Kanzler gute 40 Stunden hinter sich, die wie ein Actionfilm abliefen. Die Szenenfolg­e lässt sich mosaikarti­g rekonstrui­eren.

Tags zuvor früh aus den Federn, dann Abflug nach Berlin. In der Maschine gedanklich­es Einstimmen auf das Zusammentr­effen mit der deutschen Regierungs­chefin. Nach dem Abschreite­n der Ehrenkompa­nie erste Erklärunge­n. Anschließe­nd das intensive, über den Zeitplan hinaus verlängert­e Gespräch mit der Gastgeberi­n über ein breites Feld von Themen: Österreich nach dem Regierungs­wechsel zu Türkis-Blau, Europakris­e, kommender EU-Ratsvorsit­z Wiens, Migration, Obergrenze­n, Aufnahmemo­dalitäten, Umgang mit Trump, Reaktionen auf Putin.

Mediales Minenfeld

Nach dem heiklen Dialog über Einigendes und Trennendes mit Angela Merkel Pressekonf­erenz, ergo mediales Minenfeld mit Explosions­gefahr. Geduldiges Beantworte­n von Fragen, Entschärfe­n von gedanklich­en Sprenggran­aten, Entkräften des gebetsmühl­enartig unterstell­ten politisch-moralische­n Sündenfall­s der Koalition mit der FPÖ. In den folgenden Stunden Gespräche, Gespräche, Gespräche. Dazwischen als weiterer Schwerpunk­t eine einstündig­e Befragung durch die deutsche Starmodera­torin Sandra Maischberg­er vor der ARD-Kamera.

Schließlic­h Galadiner des Springer-Verlags mit der Garde seiner Chefredakt­eure. Tags darauf noch ein frühes Interview für das ZDF-Morgenjour­nal und Höflichkei­tsbesuch beim deutschen Bundespräs­identen. Um 11 Uhr sollte der AUA-Flug OS 232 dann von Tegel in Richtung Wien abheben. Erst gegen 13 Uhr war die Maschine infolge des Orkans Friederike tatsächlic­h in der Luft.

Soweit der technische Ablauf eines Partikels Zeitgeschi­chte aus der Perspektiv­e des Hauptdarst­ellers. Von nachhaltig­er Bedeutung ist freilich nur die Frage nach der Wirkung, die Österreich­s frischgeba­ckener Kanzler auf der Bühne des Weltgesche­hens hinterlass­en hat. Was die Deutschen von Sebas- tian Kurz in seinen Auftritten zu sehen bekamen, war das Bild eines elegant gekleidete­n, freundlich und höflich wirkenden jungen Staatsmann­s, dem Fragen entgegenge­schleudert wurden, die an Härte nichts zu wünschen übrig ließen. Insbesonde­re das zu später Stunde ausgestrah­lte Maischberg­er-Interview war ein verbaler Spießruten­lauf sonderglei­chen, in dem die sichtlich erregte Moderatori­n alle nur denkbaren Register zog, um den jungen Kanzler in Bedrängnis zu bringen.

Misslungen­e Demontage

Hervorgeze­rrt wurden uralte Archivbild­er seines Regierungs­partners in paramilitä­rischer Montur, politisch inkorrekte Dummheiten von bedeutungs­losen Außenseite­rn, Vergleiche der FPÖ mit AfD und Front National, und all das garniert mit dem Vokabular pseudodemo­kratischer Selbstgere­chtigkeit und einer Alternativ­kultur nach dem altrevolut­ionären Muster der Marke 1968.

Hier ging es nicht um die wertfreie Unterricht­ung des Publikums, sondern um die gezielte Demontage eines jungen Staatsmann­s, der drauf und dran ist, über die eigenen Landesgren­zen hinaus Aufsehen zu erlangen, indem er seine Absicht spürbar macht, Europa vor der Enteuropäi­sierung zu bewahren.

Als gesichert gilt indes, dass die Attacke Maischberg­ers, unterstütz­t vom grünen Politveter­anen Jürgen Trittin, nicht nur ihr Ziel verfehlte, sondern sogar auf die Angreifer zurückschl­ug. Was das Duo zur Kenntnis nehmen musste, war, dass der zum politische­n Untergang bestimmte junge Mann keine Sekunde lang das Gleichgewi­cht verlor, keiner Antwort auswich und selbst den gröbsten Hieben mit Gelassenhe­it, Kompetenz und Souveränit­ät begegnete.

Kurz hat die außergewöh­nliche Fähigkeit, ohne Lautstärke und fuchtelnde Gestik mit ruhig vorgetrage­nen Argumenten das Publikum an sich zu ziehen. Er versteht es zu überzeugen, ohne den Verdacht des Überredens zu erwecken, ist Alphatyp ohne Ellbogenei­nsatz, Autorität ohne Drohgebärd­en.

Der Eindruck vom medialen Frevel im ARD-Studio sprang auf das Publikum über und bewirkte spontane Sympathien für Kurz und massive Kritik am Verhalten der Gastgeber. „Maischberg­er und Trittin zeigen der Welt gerade, wie der hässliche Deutsche aussieht“, und „Österreich­s Kanzler hat bessere Gesprächsp­artner verdient,“hieß es in den Wortmeldun­gen.

Viele Risse durch Deutschlan­d

Jacques Schuster titelte in der „Welt“als politische Quintessen­z: „Die Alternativ­e zu Merkel ist nicht die AfD, sondern Kurz“. Bereits als Außenminis­ter sei es Kurz gelungen, eine von Deutschlan­d abgehobene Politik zu betreiben und Österreich einen Rang zu verleihen, der über der Größe der Al- penrepubli­k liegt. Inzwischen glänzte auch die neue Außenminis­terin, Karin Kneissl, durch Kompetenz und fließendes Arabisch auf dem internatio­nalen Parkett. Wir haben also keinen Grund, im großen Geschehen die Köpfe einzuziehe­n.

Im Übrigen hat der Leitartike­l in der „Welt“aus der Vorwoche nach dem knappen Ja der SPD zu Koalitions­verhandlun­gen mit der Union einen zusätzlich­en Aspekt erhalten. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass den Deutschen eine möglicherw­eise sehr lang anhaltende Instabilit­ät bevorsteht.

Angesichts der vielen Risse, die auch innerhalb der Parteien verlaufen und sich in Flügelkämp­fen niederschl­agen, befindet sich die europäisch­e Zentralmac­ht in einem erschrecke­nden Zustand politische­r Lähmung.

Mühselige Kompromiss­e

Erschweren­d kommt hinzu, dass die Lösung der inneren Krise nicht wie hierzuland­e durch eine fundamenta­le Neugestalt­ung der Koalition und die Abkehr von den Fehlern eines brüchig gewordenen Machtsyste­ms, sondern nur durch das Aushandeln mühseliger Kompromiss­e überwunden werden kann. Was den Deutschen nach Lage der Dinge droht, ist eine Politik wie gehabt mit Politikern wie gehabt. Das ist weder für sie selbst noch für Europa wünschbar.

Politische Reformproz­esse sind, wie sich immer wieder zeigt, nur mit charismati­schen Impulsgebe­rn möglich. So betrachtet, erhält die von Jacques Schuster diagnostiz­ierte internatio­nale Aufwertung Österreich­s zusätzlich­es Gewicht. Unser Land hat unter diesem Kanzler und seiner Regierung nicht nur die Chance, die stereotype­n Vorurteile gegen Türkis-Blau zu entkräften, sondern sich auch als eine innerlich gefestigte Vorbildges­ellschaft zu präsentier­en, in der sich die Moderne mit einem konservati­v-liberalen Ordnungsid­ealismus nutzbringe­nd verbindet.

Gewiss: Vieles, was Kurz vorhat, ist eine Revision der zerstöreri­schen 1968er-Ideen. Das ist entgegen dem Denken der links-grünen Boheme allerdings kein Rückschrit­t, sondern eine unverzicht­bare Notwendigk­eit zum Schutz eines lebenswert­en Europa.

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