Jiˇr´ı Drahoˇs: Der Anti-Zeman aus der Akademie
Tschechien. Bei der Präsidentenwahl, die am heutigen Samstag zu Ende geht, zeichnete sich ein überraschend knappes Rennen zwischen dem ebenso erfahrenen wie polternden Amtsinhaber Zeman und dem Wissenschaftler Drahoˇs ab.
Angst hat er nicht, das muss man Jirˇ´ı Drahosˇ lassen. Als er vor knapp zwei Wochen in die Stichwahl der tschechischen Präsidentschaftswahl einzog, forderte er Milosˇ Zeman auf, sich nun auch in zwei Fernsehduellen zu stellen. Wohl wissend, dass derlei Veranstaltungen in Tschechien, mit kreischendem Publikum und meist überforderten Moderatoren, wie gemacht für seinen Gegner sind. Zeman ist eine Rampensau, setzt auf seine rhetorische Begabung und seinen Witz, weiß einen großen Saal über Stunden locker allein zu unterhalten.
Drahosˇ kommt da vergleichsweise dröge daher. Ihm liegt es nicht, Opponenten anzugreifen. Er versucht, mit Sachargumenten zu überzeugen, mit Fakten, wie er das Zeit seines Lebens als Chemieprofessor und früherer Chef der Akademie der Wissenschaften gewohnt war. Aber er hat in dem knappen Jahr in der Politik gelernt, dass die Tschechen nicht alle Intellektuelle sind und in Prag oder anderen größeren Städten leben. Er redet nicht mehr verschwurbelt, sondern in kurzen, jedem verständlichen Sätzen. So sagt er etwa – schon fast ungewohnt angriffslustig: „Das Migrationsproblem löst man nicht mit Bonmots gegenüber Frau Merkel. Da braucht es ernsthafte Verhandlungen in Europa.“
Sollte Drahosˇ gewählt werden, bekämen Berlin und Brüssel in der Migrationsfrage keinen leichten Partner – wiewohl wirkliche Verhandlungen darüber die alleinige Aufgabe des jeweiligen Prager Regierungschefs sind. Letzterer hat dafür die Richtlinienkompetenz. Doch der Präsident könnte den Premier zum einen mit eigener Diplomatie unterstützen, auch mäßigend im Rahmen der Visegrad-´Gruppe wirken. Und zum anderen könnte er das Migrationsthema, das in Tschechien dauerpräsent ist, obwohl es fast keine Flüchtlinge gibt, selbst etwas herun- terkühlen. Drahosˇ hat zu der Problematik klare Vorstellungen: Er ist entschieden gegen Verteilungsquoten für Migranten und somit auch gegen Dublin IV. „Niemand kann uns vorschreiben, wie viele Flüchtlinge wir aufnehmen müssen“, sagt er unmissverständlich. Er will gesicherte EU-Außengrenzen und sehr viel mehr humanitäre Hilfe in den Herkunftsländern der Flüchtlinge.
Aber Drahosˇ hält Tschechien – anders als Zeman – auch für stark genug, die einst versprochenen 2600 Kriegsflüchtlinge aufzunehmen. Dass ihm einer seiner Berater in diesem Zusammenhang ausgerechnet den in Tschechien verlachten Merkel-Satz „Wir schaffen das“in den Mund gelegt hat, kommt bei der Mehrzahl der Wähler freilich nicht gut an. Das Zeman-Lager wendet ohnehin schon alle faulen Tricks an, um Drahosˇ als einen „Willkommenspräsidenten“für „Illegale und Terroristen“hinzustellen.
Etwa mit ganzseitigen Anzeigen in den Zeitungen oder einem Foto in den sozialen Netzwerken, auf dem er gemeinsam mit der Kanzlerin zu sehen ist. „Absprachen über die Migranten“habe er da mit Merkel getroffen, heißt es verschwörerisch. Dabei stammt das komplette Foto von einem Wissenschaftlerempfang in Berlin im Jahre 2013. Da gab es noch kein Migrationsproblem. Wie es auch beinahe schon verwundert, dass man Drahosˇ noch nicht vorgeworfen hat, dass er seit einem Forschungsaufenthalt in Hannover 1985 auch Deutsch spricht. Keinen Zweifel lässt Drahosˇ aufkommen, dass Tschechien zu Europa, zur EU und zur Nato gehört. Ständige Besuche in Moskau oder Peking werde es mit ihm – anders als bei Zeman – nicht geben.
Damit spricht er der zunehmenden Zahl der Tschechen aus dem Herzen, die sich Sorgen über die Ausrichtung des Landes machen. Drahosˇ will dafür in erster Linie alle EU-Länder bereisen und dort für tschechische Interessen werben.
Der Herausforderer hat auch eine private Seite, bekennt sich als bodenständiger Mährisch-Schlesier zu guten Beziehungen mit Polen. Als Rentner liebt er die Gartenarbeit, hat sein „stinknormales“Wochenendhäuschen ganz allein aufgebaut. Gern widmet er sich seiner zweiten Liebe neben der physikalischen Chemie – der Musik. Drahosˇ spielt mehrere Instrumente, liebt Rock wie Klassik, singt seit Jahr und Tag in einem Chor.
Seine Frau widerspricht zudem dem Bild des angeblich „staubtrockenen Langweilers“. Wäre er so, würde sie nicht seit mehr als 40 Jahren mit ihm verheiratet sein. Derlei kommt gut an. Auch, dass er fit ist, wenngleich er altersbedingt etwas zu hohen Blutdruck habe. Seine Brille braucht Drahosˇ nach eigenem Eingeständnis nicht, weil er gegen die extreme Kurzsichtigkeit normale Kontaktlinsen trage. „Aber die Leute haben sich an die Brille gewöhnt, also trage ich sie weiter“, begründet er die kleine Schwäche, etwas interessanter wirken zu wollen.
Dieser „normale“Drahos,ˇ der nach eigenen Worten dem Amt des Staatschefs die Würde zurückgeben möchte, die es zuletzt unter Vaclav´ Havel hatte, macht ihn automatisch zum Anti-Zeman. Wie dazu auch die Entscheidung der meisten unterlegenen anderen Kandidaten aus der ersten Wahlrunde beiträgt, ihn vor der Stichwahl zu unterstützen. Die haben sich mehr oder weniger alle als Anti-Zemans verstanden. Wie die ganze Wahl, die am Freitag begann und am heutigen Samstag zu Ende geht, eigentlich nichts anderes ist als ein Referendum für oder gegen den derzeitigen Amtsinhaber.
Ob Drahosˇ die unter Zeman gespaltene tschechische Gesellschaft einen könnte, ist offen. Vor allem wegen des etwas gespannten Verhältnisses zum amtierenden Premierminister, Andrej Babis.ˇ Den hätte Drahosˇ nicht ernannt, weil er im Verdacht des EU-Subventionsbetrugs steht. Babisˇ hat denn seinerseits auch empfohlen, Zeman zu wählen. Da kämen gleich harte Zeiten auf den neuen Herrn der Prager Burg zu.