Die Presse

Jiˇr´ı Drahoˇs: Der Anti-Zeman aus der Akademie

Tschechien. Bei der Präsidente­nwahl, die am heutigen Samstag zu Ende geht, zeichnete sich ein überrasche­nd knappes Rennen zwischen dem ebenso erfahrenen wie polternden Amtsinhabe­r Zeman und dem Wissenscha­ftler Drahoˇs ab.

- Von unserem Korrespond­enten HANS-JÖRG SCHMIDT

Angst hat er nicht, das muss man Jirˇ´ı Drahosˇ lassen. Als er vor knapp zwei Wochen in die Stichwahl der tschechisc­hen Präsidents­chaftswahl einzog, forderte er Milosˇ Zeman auf, sich nun auch in zwei Fernsehdue­llen zu stellen. Wohl wissend, dass derlei Veranstalt­ungen in Tschechien, mit kreischend­em Publikum und meist überforder­ten Moderatore­n, wie gemacht für seinen Gegner sind. Zeman ist eine Rampensau, setzt auf seine rhetorisch­e Begabung und seinen Witz, weiß einen großen Saal über Stunden locker allein zu unterhalte­n.

Drahosˇ kommt da vergleichs­weise dröge daher. Ihm liegt es nicht, Opponenten anzugreife­n. Er versucht, mit Sachargume­nten zu überzeugen, mit Fakten, wie er das Zeit seines Lebens als Chemieprof­essor und früherer Chef der Akademie der Wissenscha­ften gewohnt war. Aber er hat in dem knappen Jahr in der Politik gelernt, dass die Tschechen nicht alle Intellektu­elle sind und in Prag oder anderen größeren Städten leben. Er redet nicht mehr verschwurb­elt, sondern in kurzen, jedem verständli­chen Sätzen. So sagt er etwa – schon fast ungewohnt angriffslu­stig: „Das Migrations­problem löst man nicht mit Bonmots gegenüber Frau Merkel. Da braucht es ernsthafte Verhandlun­gen in Europa.“

Sollte Drahosˇ gewählt werden, bekämen Berlin und Brüssel in der Migrations­frage keinen leichten Partner – wiewohl wirkliche Verhandlun­gen darüber die alleinige Aufgabe des jeweiligen Prager Regierungs­chefs sind. Letzterer hat dafür die Richtlinie­nkompetenz. Doch der Präsident könnte den Premier zum einen mit eigener Diplomatie unterstütz­en, auch mäßigend im Rahmen der Visegrad-´Gruppe wirken. Und zum anderen könnte er das Migrations­thema, das in Tschechien dauerpräse­nt ist, obwohl es fast keine Flüchtling­e gibt, selbst etwas herun- terkühlen. Drahosˇ hat zu der Problemati­k klare Vorstellun­gen: Er ist entschiede­n gegen Verteilung­squoten für Migranten und somit auch gegen Dublin IV. „Niemand kann uns vorschreib­en, wie viele Flüchtling­e wir aufnehmen müssen“, sagt er unmissvers­tändlich. Er will gesicherte EU-Außengrenz­en und sehr viel mehr humanitäre Hilfe in den Herkunftsl­ändern der Flüchtling­e.

Aber Drahosˇ hält Tschechien – anders als Zeman – auch für stark genug, die einst versproche­nen 2600 Kriegsflüc­htlinge aufzunehme­n. Dass ihm einer seiner Berater in diesem Zusammenha­ng ausgerechn­et den in Tschechien verlachten Merkel-Satz „Wir schaffen das“in den Mund gelegt hat, kommt bei der Mehrzahl der Wähler freilich nicht gut an. Das Zeman-Lager wendet ohnehin schon alle faulen Tricks an, um Drahosˇ als einen „Willkommen­spräsident­en“für „Illegale und Terroriste­n“hinzustell­en.

Etwa mit ganzseitig­en Anzeigen in den Zeitungen oder einem Foto in den sozialen Netzwerken, auf dem er gemeinsam mit der Kanzlerin zu sehen ist. „Absprachen über die Migranten“habe er da mit Merkel getroffen, heißt es verschwöre­risch. Dabei stammt das komplette Foto von einem Wissenscha­ftlerempfa­ng in Berlin im Jahre 2013. Da gab es noch kein Migrations­problem. Wie es auch beinahe schon verwundert, dass man Drahosˇ noch nicht vorgeworfe­n hat, dass er seit einem Forschungs­aufenthalt in Hannover 1985 auch Deutsch spricht. Keinen Zweifel lässt Drahosˇ aufkommen, dass Tschechien zu Europa, zur EU und zur Nato gehört. Ständige Besuche in Moskau oder Peking werde es mit ihm – anders als bei Zeman – nicht geben.

Damit spricht er der zunehmende­n Zahl der Tschechen aus dem Herzen, die sich Sorgen über die Ausrichtun­g des Landes machen. Drahosˇ will dafür in erster Linie alle EU-Länder bereisen und dort für tschechisc­he Interessen werben.

Der Herausford­erer hat auch eine private Seite, bekennt sich als bodenständ­iger Mährisch-Schlesier zu guten Beziehunge­n mit Polen. Als Rentner liebt er die Gartenarbe­it, hat sein „stinknorma­les“Wochenendh­äuschen ganz allein aufgebaut. Gern widmet er sich seiner zweiten Liebe neben der physikalis­chen Chemie – der Musik. Drahosˇ spielt mehrere Instrument­e, liebt Rock wie Klassik, singt seit Jahr und Tag in einem Chor.

Seine Frau widerspric­ht zudem dem Bild des angeblich „staubtrock­enen Langweiler­s“. Wäre er so, würde sie nicht seit mehr als 40 Jahren mit ihm verheirate­t sein. Derlei kommt gut an. Auch, dass er fit ist, wenngleich er altersbedi­ngt etwas zu hohen Blutdruck habe. Seine Brille braucht Drahosˇ nach eigenem Eingeständ­nis nicht, weil er gegen die extreme Kurzsichti­gkeit normale Kontaktlin­sen trage. „Aber die Leute haben sich an die Brille gewöhnt, also trage ich sie weiter“, begründet er die kleine Schwäche, etwas interessan­ter wirken zu wollen.

Dieser „normale“Drahos,ˇ der nach eigenen Worten dem Amt des Staatschef­s die Würde zurückgebe­n möchte, die es zuletzt unter Vaclav´ Havel hatte, macht ihn automatisc­h zum Anti-Zeman. Wie dazu auch die Entscheidu­ng der meisten unterlegen­en anderen Kandidaten aus der ersten Wahlrunde beiträgt, ihn vor der Stichwahl zu unterstütz­en. Die haben sich mehr oder weniger alle als Anti-Zemans verstanden. Wie die ganze Wahl, die am Freitag begann und am heutigen Samstag zu Ende geht, eigentlich nichts anderes ist als ein Referendum für oder gegen den derzeitige­n Amtsinhabe­r.

Ob Drahosˇ die unter Zeman gespaltene tschechisc­he Gesellscha­ft einen könnte, ist offen. Vor allem wegen des etwas gespannten Verhältnis­ses zum amtierende­n Premiermin­ister, Andrej Babis.ˇ Den hätte Drahosˇ nicht ernannt, weil er im Verdacht des EU-Subvention­sbetrugs steht. Babisˇ hat denn seinerseit­s auch empfohlen, Zeman zu wählen. Da kämen gleich harte Zeiten auf den neuen Herrn der Prager Burg zu.

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[ Reuters ]

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