Die Presse

Der grüne Messias von der Ostsee

Deutschlan­d. Robert Habeck wird als „neuer Joschka“gepriesen und mit Hoffnungen überfracht­et. Heute greift der Schriftste­ller aus dem hohen Norden nach dem grünen Parteivors­itz.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

So eine Website kann viel darüber verraten, wie sich jemand sieht. Oder wie er gesehen werden will. Einmal posiert Robert Habeck mit der Bierflasch­e in der Hand. Der Blick ist nachdenkli­ch. Der Querdenker. Dann wieder sieht man ihn betont leger, das T-Shirt unter dem Sakko wie so oft nur schlampig in die Jeans gesteckt. Die fleischgew­ordene Lässigkeit sozusagen. Wenn nicht alles schiefgeht, werden die Grünen Habeck heute zu ihrem neuen Chef wählen. An der Basis fliegen dem Umweltmini­ster aus SchleswigH­olstein jedenfalls die Herzen zu. Und auch der Hauptstadt­presse gefällt der Buchautor und Philosoph, der noch dazu ziemlich gut und etwas verwegen aussieht.

Habeck verfasste Kinderbüch­er und Romane, zum Beispiel über die Jahrhunder­tsturmflut an der friesische­n Nordseeküs­te. Der 48-Jährige schrieb gemeinsam mit seiner Frau. Die Erziehung der vier Kinder teilte man sich dabei selbstrede­nd und ganz zeitgemäß paritätisc­h auf. Worüber das Paar auch gern in Doppelinte­rviews Auskunft gibt. Auf dem Cover seiner Autobiogra­fie („Wer wagt, beginnt“) flaniert Habeck am Strand, die Arme weit ausgestrec­kt, ein breites Lächeln aufgesetzt. Wenn es Kritik an dem 48-Jährigen gibt, dann, dass er es mit der Selbstinsz­enierung zuweilen übertreibt.

Der Literat aus Flensburg an der dänischen Grenze – Idol: Vaclav´ Havel – schreibt nun an einer neuen grünen Erzählung. Sie führt weg vom Image als Verbotspar­tei, das den Grünen noch da und dort anhaftet. Die Partei solle sich nicht mehr als vom „Spielfeldr­and zurufende Besserwiss­er verstehen“, sagte er einmal. „Sondern Spielführe­r oder Spielmache­r werden.“Ein Prozess, der freilich schon unter Cem Özdemir begonnen hat, dem Habeck 2016 im Kampf um die Spitzenkan­didatur hauchdünn, um 75 Stimmen, unterlegen war.

Durch Özdemirs pragmatisc­hen Kurs in den am Ende gescheiter­ten Jamaika-Gesprächen gewann die Partei an Ansehen und ein paar Prozentpün­ktchen in den Umfragen. Aber sie ist eben verdammt zum Dasein als kleinste Opposition­sfraktion. Habeck leiht sich nun ein Wort, das alle (vermeintli­chen) Hoffnungst­räger quer durch Europa im Mund führen: „Eine Bewegung“sollen die Grünen werden, weit über „das grüne Milieu“hinaus ausstrahle­n. Das ist sein Verspreche­n. Habeck schielt auf Wähler der „schwachen SPD und der müden CDU“. Auch in der FDP macht sich leichte Nervosität breit. Deren Vizepartei­chef, Wolfgang Kubicki, etwa weiß um Habecks Talent. Er hat mit ihm in Schleswig-Holstein die JamaikaKoa­lition (CDU/FDP/Grüne) verhandelt.

Habeck kokettiert damit, dass er kein Ökofundi ist, dass er die Milch auch mal bei Aldi kauft. Nicht nur im Topbiolade­n. In seinen bisher sechs Jahren als Landesumwe­ltminister sucht er den Kompromiss mit Bauern, mit Fischern. Er kann mit Leuten. In diesen Tagen wurde wieder eine Geschichte aufgewärmt, wonach der 48-Jährige mit Fischern, eher keine Grünen-Fans, hinaus aufs Meer fuhr, mit ihnen Rum trank, zuhörte. Das kam gut an. Und er sprach schon vom „linken Patriotism­us“, als viele Parteifreu­nde an dem Wort nicht einmal anstreifen wollten.

Habeck weiß um seine Beliebthei­t. Und wenn der Eindruck nicht ganz täuscht, dann findet er sich auch selbst ziemlich gut. Den Grünen mutet er deshalb viel zu. Seinetwill­en sollen sie auf dem Parteitag ihre Statuten ändern. Habeck verlangt, als Parteichef für eine Übergangsz­eit von acht Monaten Landesmini­ster in seiner Heimat bleiben zu dürfen. Die Ämtertrenn­ung ist bei den Grünen eine heilige Kuh. Das ist auch der Grund, warum es gestern Nachmittag noch letzte kleine Zweifel gab, dass Habecks Kür zum Parteichef gelingt.

Und noch ein zweites Element der grünen DNA will der 48-Jährige entsorgen: Die Flügellogi­k „lähme“die Partei, moniert er ohne Unterlass. Das sei „so Achtziger“, sagt er dem „Stern“: Wobei noch im Jahr 2018 Cem Özdemir, bundesweit populärste­r Grün-Politiker, im Kampf um die Fraktionss­pitze der doppelten Quote Mann/ Frau und Realo/Fundi zum Opfer fiel. Es ist zumindest möglich, dass die Grünen diese Flügellogi­k nun für den Augenblick überwinden und neben dem Realo Habeck die Reala Annelena Baerbock an die Doppelspit­ze wählen. Aber auch deren Rivalin Anja Piel ist nicht chancenlos.

Ziemlich sicher ist nur, dass die Kochefin im Schatten des „neuen Joschka“, stehen wird, wie Habeck da und dort schon genannt wird. Der Mann weckt jedenfalls Hoffnungen wie kaum ein zweiter Grün-Politiker seit Joschka Fischer. Aber so ein Hype kann auch zur Hypothek werden. Siehe Martin Schulz (SPD). Habeck muss rasch liefern. Denn die Vertreter der reinen Lehre, die Fundis, werden sonst nicht lang stillhalte­n. Aber vorerst liegt die Basis dem Robert zu Füßen.

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[ Michael Staudt/picturedes­k.com]

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