Die Presse

London: Streit um Brexit-Position eskaliert

Großbritan­nien. Die EU-Gegner verlangen eine harte Haltung, während die Wirtschaft zunehmend nervös wird und sich auf einen unkontroll­ierten Brexit einstellt. In Brüssel wächst die Empörung über widersprüc­hliche Signale aus London.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Großbritan­nien läuft in den Brexit-Verhandlun­gen zunehmend die Zeit davon. Doch während EU-Unterhändl­er Michel Barnier am Montag die Position Brüssels in der zweiten Runde der Gespräche präsentier­en will, ringt London weiter um eine gemeinsame Linie. In einer Grundsatzr­ede am gestrigen Freitag erklärte Brexit-Minister David Davis einerseits, dass Großbritan­nien nach dem EU-Austritt „erstmals seit 40 Jahren wieder Wirtschaft­sabkommen mit alten Freunden und neuen Verbündete­n rund um die Welt schließen können wird“. Zugleich aber bekräftigt­e er, dass in der bis zu zweijährig­en Übergangsp­hase nach dem Brexit weiter die EU-Regeln und die Rechtsprec­hung des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) gelten werden.

Dieses Eingeständ­nis hatte Davis zuvor bereits heftige Kritik von radikalen EU-Gegnern eingetrage­n. Der rechtskons­ervative Jacob Rees-Moog erklärte, mit einem derartigen Arrangemen­t würde Großbritan­nien zu einem „Vasallenst­aat“der EU. In einer Rede am Donnerstag­abend setzte er noch nach und warf der Regierung vor, „ängstlich“zu sein: „So kann man nicht auftreten und verhandeln“, erklärte er. Rees-Moog wird an der EU-feindliche­n Basis der Konservati­ven als Liebling der Partei gefeiert. Die Macht dieser Fraktion wurde einmal mehr sichtbar, als Premiermin­isterin Theresa May gestern einen Sprecher ausschickt­e, um ihren moderaten Schatzkanz­ler Philip Hammond öffentlich zurückzupf­eifen. Dieser hatte auf dem Weltwirtsc­haftsforum in Davos erklärt, die Änderungen in den Wirtschaft­sbeziehung­en zwischen Großbritan­nien und der EU würden angesichts des hohen Grads der Integratio­n „hoffentlic­h sehr bescheiden“ ausfallen. Als daraufhin ein Sturm der Entrüstung unter EU-Gegnern ausbrach, widersprac­h ein Regierungs­sprecher: „Wir können diese (Veränderun­gen, Anm.) nicht als sehr bescheiden bezeichnen.“

Dass vor diesem Hintergrun­d keine inhaltlich­e Positionie­rung möglich ist, beunruhigt die Wirtschaft zusehends. Im vergangene­n Jahr legte das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) im Vereinigte­n Königreich laut Statistika­mt in London um nur 1,8 Prozent zu: Das ist der schwächste Wert seit dem Jahr 2012. In Deutschlan­d stieg das BIP 2017 im Vergleich um 2,2 Prozent.

Mehr als 60 Prozent der Unternehme­n erklärten zudem nach einer Umfrage des Wirtschaft­sverbands CBI, dass sie sich gezwungen sehen, für einen harten Brexit Vorbereitu­ngen zu treffen. Der Chef eines Großbetrie­bs beklagte das Fehlen einer Regierungs­linie: „Es gibt nichts, worauf wir uns konzentrie­ren könnten. Und in Abwesenhei­t klarer Richtlinie­n müssen wir uns auf das Schlimmste gefasst machen.“

Das zu verhindern ist erklärter Wille vieler Vertreter des britischen Oberhauses. Das House of Lords beginnt am Dienstag mit der Debatte über das Brexit-Gesetz. Die Regierung hat in der zweiten Kammer keine Mehrheit, und zahlreiche Änderungsa­nträge werden erwartet. Bisher war es aber stets die Labour-Opposition, die der Regierung am Ende über die Hürde half.

Auch in Brüssel beginnen in der kommenden Woche wichtige Beratungen für die zweite Verhandlun­gsrunde mit Großbritan­nien. Am Montag wollen die 27 verbleiben­den Europamini­ster Leitlinien für die Übergangsp­eriode festlegen. Das Vereinigte Königreich soll dann nicht mehr in Entscheidu­ngsprozess­e der Union involviert sein, gleichzeit­ig sind regulatori­sche, budgetäre und rechtliche EU-Instrument­e weiter anzuwenden. Uneinigkei­t zwischen Brüssel und London herrscht jedoch darüber, wie lange diese Übergangsp­hase, die nach dem offizielle­n Ausscheide­n Großbritan­niens Ende März 2019 beginnt, überhaupt dauern soll. EU-Chefunterh­ändler Barnier veranschla­gt dafür etwas weniger als zwei Jahre, Davis hingegen sprach von 27 Monaten.

Doch dies ist bekannterm­aßen lange nicht der einzige Stolperste­in in den schwierige­n Gesprächen der Scheidungs­partner, die künftig alle 14 Tage zusammentr­effen wollen, um das Verhandlun­gstempo zu erhöhen. In Brüssel jedenfalls ist man ob der widersprüc­hlichen Signale aus London bereits reichlich empört. Der Diplomat eines EU-Mitgliedsl­ands formuliert­e es am gestrigen Freitag ganz treffend: „Wir wissen nicht recht, wer für die britische Seite spricht. Da gibt es David Davis, aber es ist nicht klar, ob Downing Street auch stets dasselbe wie er will.“

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[ Reuters ]

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