Bösewichter haben einige böse Lieder
Singen fördert das Gemeinschaftsgefühl. Bei einigen dieser Vereine möchte man aber gar nicht dabei sein.
Selbst Bücher wie der „Zupfgeigenhansl“bargen für die Gesellschaft durchaus auch Sprengkraft.
Der gemischte Chor in der Musikabteilung des „Gegengiftes“hat ein noch recht überschaubares Liedgut. Unser Repertoire ist schmal und schlicht. Wenn wir lustig sind, singen wir „Da drunt’ in Erdberg is’ a Wirtshaus“, obwohl das einst als sittenwidrig galt. Fröhlicher Gesang stärkt den Gemeinschaftssinn, zumindest auf Bezirksebene. Selbst einfachste Tenöre unter uns wissen, dass Lieder so wie Fahnen und Abzeichen von Vereinen niemals zufällig gewählt werden, sondern ein bewusstes Statement sind. Sie verbinden ideologisch.
Wenn etwa Wandervögel oder andere Jugendbewegte „Wohlan, die Zeit ist kommen“anstimmten, zeigten sie vor 100 Jahren, dass sie sich vom liberalen Bürgertum absetzten: Raus aus der Stadt, rein in die Natur, um die deutsche Gesellschaft zu reformieren! Je älter und einfacher das Volkslied, desto besser. Selbst Liederbücher wie der „Zupfgeigenhansl“bargen durchaus gesellschaftliche Sprengkraft.
Ein ehemaliger Zwettler Sängerknabe erzählte uns Laienmusikern mitten im Dritten mit leuchtenden Augen, welche Welle reinen Gefühls den Chor erfasste, wenn folgender Hit gesungen wurde: „Mei Waldviertel is gewiss grad nit ’s Paradies, weil’s kalt is gar z’viel, und da Wind treibt sei G’spiel.“Genauso beliebt war eine komplexe Motette Marc’Antonio Ingegneris aus der Renaissance. Wenn „O bone Jesu“vierstimmig erklang, fühlten sich die Buben von einem guten Herrn behütet, der nicht zuließ, dass sie von ihm durch den bösen Feind getrennt wurden: „Et ne permittas me separari a te / Ab hoste maligno defende me“klingt recht kämpferisch. So viel Sentiment hat eben seine Schattenseiten. Gemeinschaft entsteht vor allem durch Abgrenzung.
Für strenge Katholiken also, welche die schöne Weise „Maria zu lieben ist allzeit mein Sinn“jubilierten, war das zuweilen nicht nur ein Zeichen tiefer Verehrung, sondern auch ein Versuch, die Evangelischen daran zu erinnern, wo Gott wohnte. Diese wiederum sangen seit Martin Luther manch aggressive Lieder der Reformation: Es war ihnen nicht anzuraten, bei einer spontanen Demo vor der Wiener Hofburg den Protestsong „Erhalt uns Herr bei deinem Wort“vorzutragen. Die zweite Zeile lautete einst: „Und steu’r des Papst und Türcken Mord.“Selbst noch in Johann Sebastian Bachs Choral war diese als Provokation gedachte Passage drin. Dass dieses Auftragswerk ein „Kinderlied“sei, „zu singen wider die zween Ertzfeinde Christi und seiner heiligen Kirchen“, war nicht als Jux gedacht.
Man sollte also mit einiger Skepsis folgende Gedichtzeile Johann Gottfried Seumes lesen: „Bösewichter haben keine Lieder“, behauptete dieser große Spaziergänger 1804. Zumindest ist bei Leuten Vorsicht geboten, die schlecht sitzende Straßenbahnerkappen aufhaben, bunte Schleifen wie für einen Kinderfasching tragen und einander, wenn sie besoffen sind, mit Fechtwaffen obskure Runen in die Gesichter schnitzen. Die singen gewiss auch böse politische Lieder.