Die Presse

Elektrisch­e Körper im Tanzquarti­er

Erster Abend unter neuer Leitung: „Every Body Electric“, ein starkes Statement von Doris Uhlich.

- VON THERESA STEININGER

Zwei Nackte mit physischer Behinderun­g liegen auf dem Boden, robben und rollen sich vorwärts, während das Publikum die Plätze einnimmt. Dann rast ein Rollstuhl auf die Bühne, bremst, die drin Sitzende beginnt mit Headbangin­g, ein anderer Performer im Rollstuhl schlägt die Knie zusammen, die Hände versuchen zu bremsen. Jemand macht Schulteris­olationen, die Bewegung wird größer, bis der ganze Oberkörper mitrollt . . .

Doris Uhlichs Performanc­e „Every Body Electric“, mit deren Erstauffüh­rung das Tanzquarti­er Wien am Donnerstag sein Neueröffnu­ngswochene­nde gestartet hat, erforscht teilweise elektrisie­rend das tänzerisch­e Potenzial jedes Einzelnen der neun Performer, die allesamt physische Behinderun­gen haben. Zu oft monotonen Beats werden ebensolche Moves ausgeführt. Manches vibriert, manches hypnotisie­rt. Bald rollt jemand so rasant über die Bühne, dass man sich fragt, ob er vor der Zuschauerr­eihe noch bremsen kann, bald zeigt einer gekonnte Hip-Hop-Moves nur mit Armen und Oberkörper, die Beine fehlen zur Gänze. Dass das Stück nicht zur Zurschaust­ellung von Unzulängli­chkeiten wird, liegt am Variantenr­eichtum des Materials und an überrasche­nden Bewegungsm­ustern. Wenige Längen kommen durch die oftmalige Wiederholu­ng derselben Moves zustande, das Publikum bejubelte Performer und Choreograf­in frenetisch.

Krenreiben mit Duchamp

In der Folge bat die neue Hausherrin, Bettina Kogler, zu Würstel, Performer Julius Deutschbau­er rieb nur mit offenem, schwarzem Mantel bekleidet in der Kälte Kren, im Hintergrun­d lief ein Text über Marcel Duchamp, Schokolade­reiben, Krenreiben und Schärfe. Im Stiegenhau­s zersplitte­rte Buchstaben der Worte „Good, better, worse, bad, out“als Installati­on von Andrea Maurer; auch der zuschlagen­de Hammer begleitet das Publikum hinauf ins neu renovierte TQW, in dem Margareth Kaserer und Simon Steinhause­r Künstlerbi­ografien in Holzrahmen wie in einer Galerie aufgehängt haben, um darauf zu verweisen, wie sehr Künstler geliebt werden wollen.

Die zweite Performanc­e brachte Franko B, der zur am Flügel gespielten Musik Helen Ottaways schaukelte. Nackt, ohne den tätowierte­n Körper merklich zu bewegen, aber monoton dahinschau­kelnd, auch über das Ende der Musik hinaus. Die Klänge evozierten Gefühle wie in einem Traum von unbeschwer­ter Kindheit, ebenso das Spielplatz­setting, das Gesehene konterkari­erte dies. Franko B. wartete sichtlich auf die Reaktionen des Publikums; dass sich manche Zuschauer so demonstrat­iv um ihn herum bewegten und sich in Szene setzten, störte dann doch. Kurz: Starkes Statement einer in der Szene bestens verankerte­n Künstlerin – für eine Neupositio­nierung muss sich die künstleris­che Handschrif­t der neuen Intendanz in den nächsten Wochen noch herauskris­tallisiere­n.

Weiteres Programm: Heute, 27. 1.: Philipp Gehmacher, Marino Formenti (20.45 Uhr, Kunsthalle), Anne Lise Le Gac (18 Uhr, TQW-Studios). In der neuen TQW-Filiale in der Neustiftga­sse (heute, 16 Uhr: Alexander Gottfarb) soll künftig ein Jahr lang täglich von zehn bis 18 Uhr performt werden.

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