Die Presse

Inwieweit liegt der Geschmack in den Genen?

Rund 50 Gene beeinfluss­en, was wir gern essen. Weil sie in unzähligen Varianten ausgeprägt sind, hat jeder andere Vorlieben und Abneigunge­n.

- VON ALICE GRANCY [ Foto: Rothwangl ]

Kaum ein Gewürz spaltet die Gemüter so sehr wie Koriander. Die einen lieben seine seifige Note, die anderen stößt sie ab. „Das liegt in den Genen“, erklärt eine Kollegin im Pausenraum. Und eine andere will wissen, ob das stimmt. „Koriander ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr die Gene unseren Geschmack beeinfluss­en“, sagt dazu Ernährungs­wissenscha­ftlerin Sandra Holasek von der Med-Uni Graz. Vier Gene sind dafür verantwort­lich, wie wir Koriander wahrnehmen. Das wurde bereits mehrfach publiziert, zuletzt auch im renommiert­en Journal „Nature“. „Aber die Daten zeigen, dass man sich auch umgewöhnen kann“, so Holasek.

Wie sehr geben Gene aber nun insgesamt vor, was wir mögen – und was nicht? Um die 50 Gene sollen für den Geschmack verantwort­lich sein. „Wir gehen davon aus, dass es viele Varianten gibt, wie diese ausgeprägt sind. Das macht uns zu Individual­isten“, erklärt Holasek. Das ist etwa für Bitterstof­fe gut belegt. Rund 30 Prozent der europäisch­en Bevölkerun­g spüren kaum, wenn etwas bitter schmeckt. Diesen Menschen fällt es leichter, sich gesund zu ernähren: Grüne Gemüsesort­en wie Kraut, Brokkoli und andere Kohlgemüse enthalten nämlich viele Bitterstof­fe. Noch größere Unterschie­de gibt es zwischen den Kontinente­n. In Teilen Afrikas müssen die Menschen seit jeher in Dürrezeite­n bittere Pflanzen essen. Die Evolution hat sie offenbar dafür abgehärtet: Ein Großteil der Afrikaner nimmt Bitterstof­fe überhaupt nicht wahr.

Die Gene sind aber nicht alles. Dazu kommt etwa die Epigenetik: Umweltfakt­oren wie eben die Nahrung – die Expertin spricht von Nutriepige­netik – verändern die Genaktivi- tät. Und auch Hormone tauschen sich mit den Geschmacks­rezeptoren aus. Leptin etwa verändert, wie sehr wir Süßes wahrnehmen: Übergewich­tige neigen eher zum Naschen, weil sie dagegen resistent sind, sie haben sie eine erhöhte Wahrnehmun­gsschwelle, um ein gutes Gefühl zu entwickeln. Endocannab­inoide wiederum bewirken das Gegenteil, so Holasek: Werden die körpereige­nen, cannabisäh­nlichen Substanzen angeregt, machen sie rasch glücklich. Das funktionie­rt auch, wenn man Sport macht. „Daher essen Menschen, die sich viel bewegen, weniger Süßes.“

Auch der Bauch mischt mit

Und überhaupt wirkt nicht nur der Mund, sondern der ganze Verdauungs­trakt mit, wenn wir Geschmack bestimmen. „Der ganze Organismus ist darauf ausgericht­et, das geht bis in die Knochensub­stanz“, erläutert Holasek. Ein enorm großes Forschungs­feld, in dem es noch viele offene Fragen gebe. Holasek konnte mit ihrem Team etwa zeigen, dass auch das Mikrobiom, also das Zusammensp­iel der Darmbakter­ien und ihrer Abbauprodu­kte, den Geschmack beeinfluss­t. Außerdem befasst sie sich in ihrer wissenscha­ftlichen Arbeit mit dem Energiesto­ffwechsel und extremen Essstörung­en wie Magersucht und Fettlebigk­eit.

Ist es nun eher angeboren oder doch erlernt, ob uns etwas schmeckt? Wie so oft spielen die Faktoren zusammen: Denn letztlich sei es immer auch eine gesellscha­ftliche Frage, was wir essen, so Holasek. Wobei die Prägung schon früh, beim Fötus im zweiten Monat beginnt. Von da an entwickelt das Ungeborene, von der Mutter über das Fruchtwass­er mit Aromen versorgt, sein ganz persönlich­es Geschmacks­archiv. Was wollten Sie schon immer wissen? Senden Sie Fragen an: wissen@diepresse.com

„Koriander ist ein gutes Beispiel, wie sich Gene auf unseren Geschmack auswirken.“Sandra Holasek, Med-Uni Graz

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