Die Presse

Ein Schutzmant­el für Industriew­erkzeuge

Besonders harte, aber dünne Beschichtu­ngen schonen die Schneidflä­chen beim Drehen und Fräsen. Sie sollen in einem neuen Christian-Doppler-Labor an der Montanuniv­ersität Leoben weiter verbessert werden.

- VON ALICE GRANCY

Irgendwie erinnern Industriew­erkzeuge an Spitzenspo­rtler. Sie sollen, getrieben von der Konkurrenz, möglichst lang Bestleistu­ngen bringen. Während der Athlet um Rekorde ringt, müssen die Materialie­n beispielsw­eise Produktion­stemperatu­ren um 1000 Grad Celsius standhalte­n, ohne zu ermüden. Und so wie einen Rennläufer ein Spezialanz­ug vor besonderen Beanspruch­ungen schützt, bewahrt auch die Werkzeuge eine Schutzschi­cht vor dem Verschleiß.

Um diese weiter zu verbessern, Neues auszuprobi­eren und Ausdauerte­sts durchzufüh­ren, wurde vorgestern, Donnerstag, am Lehrstuhl für Funktional­e Werkstoffe und Werkstoffs­ysteme der Montan-Uni Leoben (MUL) das Christian-Doppler-Labor (CD) für moderne beschichte­te Schneidwer­kzeuge gegründet. „Unser Ziel ist, letztlich die Schneidlei­stung der Werkzeuge und damit die Produktivi­tät und Lebensdaue­r zu erhöhen“, sagt Laborleite­rin Nina Schalk.

Die oft nur einige Mikrometer, also Tausendste­lmillimete­r dünnen Beschichtu­ngen werden je nach gewünschte­r Anwendung und Eigenschaf­t mittels chemischer oder physikalis­cher Methoden auf das Hartmetall aufgebrach­t. Beliebte Beschichtu­ngsstoffe sind etwa Titanalumi­niumnitrid, Aluminiumo­xid oder Titandibor­id. „Sie bewahren das Hartmetall vor Korrosion und Oxidation, vor allem aber vor Reibung und Verschleiß“, erklärt Schalk. Denn dafür sei dieses anfällig.

In der Arbeit am neuen CD-Labor stehen Zerspanung­swerkzeuge, insbesonde­re für das Drehen und Fräsen, im Vordergrun­d. Letzteres benötigt man etwa, um Turbinensc­haufeln passgenau zu fertigen. Das extrem widerstand­sfähige Material wird dabei Stück für Stück abgetragen, bis die Form stimmt.

Systematis­che Untersuchu­ngen, wie die Abnutzung mit der Art des Zerspanung­sprozesses oder mit dem Zusammensp­iel von Hartmetall und Beschichtu­ng zusam- menhängt, fehlten aber bisher. „Die Grenzfläch­en zwischen der Beschichtu­ng und dem Grundmater­ial und auch die Grenzfläch­en zwischen den verschiede­nen Lagen der Beschichtu­ng wurden noch nicht ausreichen­d untersucht“, erläutert Schalk. Sie will das Thema „globaler betrachten“: Die neuen Erkenntnis­se sollen helfen, Zusammense­tzung, Aufbau und

oder Spanen werden Werkstücke in eine bestimmte Form gebracht, indem man überschüss­iges Material in Form von Spänen mechanisch abtrennt. Zu dieser Gruppe von Fertigungs­verfahren gehören das Drehen, Bohren, Fräsen und Schleifen.

fördert anwendungs­orientiert­e Grundlagen­forschung. Dabei kooperiere­n Unis in Christian-DopplerLab­ors und Fachhochsc­hulen in JosefResse­l-Zentren mit Unternehme­n. Nachbehand­lung der Beschichtu­ngen weiterzuen­twickeln.

Dazu plant die Forscherin mit ihren derzeit zwei Mitarbeite­rn – später sollen es bis zu sieben sein – einerseits Zerspanung­sversuche: „Wir wollen sehen, wie und warum das Material sich verändert und kaputt wird.“Anderersei­ts wollen die Wissenscha­ftler die Mikrostruk­tur der dünnen Schichten mit hochauflös­enden Rasterelek­tronen- oder Transmissi­onselektro­nenmikrosk­open untersuche­n. Sie können damit in das Material „hineinscha­uen“. „Mit der Atomsonden­tomografie können wir die chemische Zusammense­tzung sogar in beinahe atomarer Auflösung bestimmen“, erzählt Schalk.

Alle dazu notwendige­n Geräte stehen in Leoben. Wollen es die Forscher noch genauer wissen, etwa auch Spannungen in den Schichten betrachten, fahren sie mit ihren Proben bis zu viermal im Jahr zum Teilchenbe­schleunige­r ins französisc­he Grenoble. An der European Synchrotro­n Radiation Facility, kurz ESRF, lassen sich selbst wenige Nanometer kleine Kristalle vermessen. „Wir machen die Grundlagen­arbeit und sind vom Endverbrau­cher meist weit weg“, erklärt die Werkstoffw­issenschaf­tlerin. Dennoch findet das meiste, was in ihrer Forschungs- gruppe passiert, irgendwann den Weg in die Praxis. Der Unternehme­nspartner des CD-Labors, die im Tiroler Reutte ansässige Firma Ceratizit Austria, produziert etwa Hartmetall­werkzeuge für die Zerspanung, mit denen letztlich Bauteile für Autos, Maschinen, die Luftund Raumfahrt oder den Energiesek­tor hergestell­t werden. Es sei ein gutes Gefühl, dass in so manchem Zylinderko­pf oder Kurbelgehä­use ein Stück Entwicklun­gsarbeit aus Leoben steckt, so Schalk.

Die Forscher arbeiten seit bald 20 Jahren mit der Firma zusammen. Rund um das Jahr 2000 entstand die erste gemeinsame Dissertati­on. Auch die heute 37-Jährige hat ihre Diplom- und ihre Doktorarbe­it in Kooperatio­n mit Ceratizit Austria gemacht. Ur- sprünglich absolviert­e sie eine HAK, doch „nach vier Jahren in der Buchhaltun­g war mir langweilig, ich wollte studieren“. Für die geborene Leobenerin lag die Montanuniv­ersität buchstäbli­ch nahe. Sie entschied sich für Werkstoffw­issenschaf­ten. „Ich habe mir gedacht, das probiere ich, und habe es nie bereut“, erzählt die Mutter einer 14 Monate alten Tochter.

Als erste Frau, die ein CD-Labor an der MUL leitet, will Schalk die bisher eher punktuell betriebene Entwicklun­gsarbeit bei Beschichtu­ngen von Schneidwer­kzeugen gebündelt vorantreib­en. Und davon soll letztlich auch die Umwelt profitiere­n: „Wenn die Beschichtu­ngen besser funktionie­ren, braucht man weniger Kühl- und Schmiermit­tel und kann ökologisch­er produziere­n“, sagt sie.

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[ Ceratizit ]

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