Die Presse

Dieses Papier Nummer zwei

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Laut Duden handelt es sich bei einem Korridor um einen Gang (Flur) oder um einen schmalen Landstreif­en. Wer mit dem Zug von Salzburg nach Innsbruck reist, weiß, dass er einen Korridorzu­g benützt, der auf dem Weg zwischen beiden Landeshaup­tstädten zumindest laut Fahrplan keinen Stopp einlegt. Wer von Lienz in Osttirol nach Innsbruck in Nordtirol will, den zwingen die Alpen dazu, über Südtirol einen Korridor zu nehmen. Im Osten des Landes liegt das Burgenland, das 1921 als jüngstes Bundesland österreich­isch wurde. Wie das passierte, feierte man 90 Jahre später und wird man sicher in wenigen Jahren abermals groß begehen. Wenige wissen, dass die Geschichte auch ganz anders hätte verlaufen können, nein, nicht dass das Land ungarisch geblieben wäre, dazu war der deutschspr­achige Anteil in der Bevölkerun­g Westungarn­s, wie das Gebiet damals hieß, einfach zu groß. Die Tschechen, dank Woodrow Wilson großer Sieger des Weltkriegs, wollten mehr, nämlich einen slawischen Korridor zwischen Österreich und Ungarn, um direkten Kontakt zu den Südslawen zu erhalten und damit den ersehnten Zugang zum Meer.

Schon früh beschäftig­ten sich tschechisc­he Politiker in Böhmen mit der Idee einer Verbindung zu den slawischen Brüdern im Süden. Der prominente Jungtschec­he Karel Krama´rˇ legte im Juni 1914 (!) dem russischen Botschafte­r in Paris einen Plan für die Zukunft Österreich­s vor, der einen Korridor enthielt. Bevor sich Toma´sˇ Masaryk ins Ausland begab, konferiert­e er unter anderem mit einem kroatische­n Abgeordnet­en zum Wiener Reichsrat namens Lorkovic, den er auf dem Weg nach Rom in Wien nochmals antraf, und dann in Rom mit dem Russen Svatkovsky (Herbst 1914). In seinem Einsatz für die Unabhängig­keit seines wie immer aussehende­n Landes zeichnete er auch Landkarten. Eine davon befindet sich im Militärmus­eum zu Prag, und ein Korridor ist leicht zu erkennen.

Obwohl das Thema sicher auch in den Gesprächen in England vorkam, die Masaryk mit seinen dortigen Förderern, Robert William Seton-Watson und Henry Wickham Steed, führte, stand es bis kurz vor Kriegsende nicht im Vordergrun­d. Masaryk schien sich für den Korridor mehr aus wirtschaft­lichen Gründen zu interessie­ren, so der Autor einer Dissertati­on an der University of Wisconsin (Jon Dale Berlin: „The Burgenland Question, 1918–1920: From the Collapse of Austria-Hungary to the Treaty of Trianon“, 1974); es ging ihm nicht um Landgewinn, sondern um Garantien für die Nutzung der Eisenbahn bis zur Adria.

Auch die Südslawen waren nicht territoria­l, sondern nur ökonomisch interessie­rt und hatten überdies andere Prioritäte­n, sie waren insbesonde­re im neu aufgeflamm­ten Streit mit Italien verfangen, der ihre Kräfte bis lange nach Paris lähmen sollte.

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