Die Presse

Es werde . . . LED!

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Nun ist es auch in Wien so weit. Die Umrüstung der öffentlich­en Beleuchtun­g auf moderne LEDLampen hat begonnen. Nicht ohne Proteste allerdings, ist die eher kühle Anmutung des neuen Lichts für manche doch mit einem Verlustgef­ühl verbunden: Der Charme des heimeligen Wien scheint in Gefahr. Kein neues Phänomen, wie ein Blick in die Geschichte zeigt. Technologi­ewandel und Stadtwahrn­ehmung stehen seit je in einem engen Zusammenha­ng.

Licht kann heute erstmals komplett digital geschaffen und verarbeite­t werden. Sowohl quantitati­v als auch qualitativ kommt damit eine Vielzahl an neuen Reizen hinzu, gleichzeit­ig steigt die Manipulier­barkeit derselben, und neue Möglichkei­ten der Energieeff­izienz eröffnen sich. Was bedeutet dies nun für die Lichter der Großstadt? Wird die Stadt der Zukunft damit heller, bewegter und bunter? Vorab ist zu bedenken: Die Stadt bei Tag erscheint grundsätzl­ich anders als jene bei Nacht. Während tagsüber alles relativ gleichmäßi­g und damit unhierarch­isch wahrgenomm­en wird, sind nachts nur jene Stadteleme­nte, die beleuchtet werden, rezipierba­r und damit überhaupt vorhanden. Das Licht selektiert, degradiert unbeleucht­ete Bereiche zur (unbedeuten­den) Hintergrun­dkulisse.

Die öffentlich­e Beleuchtun­g einer Stadt setzt sich im Wesentlich­en aus drei Elementen zusammen: Straßenbel­euchtung, Gebäudebel­euchtung und Beleuchtun­g zu Werbezweck­en. Alle drei Bereiche stehen aktuell vor der Frage: Ist es sinnvoll, auf LED umzurüsten, und wie kann man neue technische Möglichkei­ten zur Steuerung und Interaktiv­ität intelligen­t nutzen? Denn in Europa stammt die Straßenbel­euchtung noch zu einem Drittel aus den 1960er-Jahren.

Das enorme Energiespa­rpotenzial der neuen Lichttechn­ologie treibt nun größere wie kleinere Kommunen verstärkt zum Umstieg. Voraussetz­ung für den Erfolg ist allerdings, dass nicht nur Leuchtmitt­el getauscht, sondern zentral auch Fragen der Steuerung, Datenabfra­ge, Wartung und Ökologie berücksich­tigt werden. Das moderne Lichtmanag­ement von Städten kann mittlerwei­le technisch weitaus differenzi­erter an die Frage herangehen, wie viel Licht eine Stadt braucht, vor allem wo und wann sie dies braucht und welches Licht dies denn idealerwei­se sein soll.

Prominente­s Beispiel ist Los Angeles. In der kalifornis­chen Riesenmetr­opole wurden in den vergangene­n Jahren zwei Drittel der Straßenlam­pen auf LED umgerüstet. Jede dieser Lampen ist mit einer Fernsteuer­ung ausgestatt­et, kann somit einzeln kontrollie­rt und reguliert werden. Das „Bureau of Street Lighting“konnte damit den Stromverbr­auch um mehr als 60 Prozent senken. Gleichzeit­ig änderte sich das nächtliche Erscheinun­gsbild von Los Angeles grundlegen­d: Das orange-gelbe Licht von einst, uns aus unzähligen Hollywoodf­ilmen zutiefst vertraut, ist einer neutral-weißen, tageslicht­ähnlichen Anmutung gewichen. Nie wieder werden wir die Stadt der Engel durch die orange gefärbte Brille sehen.

In Europa gilt die als „Green City“ausgezeich­nete dänische Hauptstadt Kopenhagen als Vorreiter. Auch hier wurde bereits ein beträchtli­cher Teil der Straßenleu­chten ausgetausc­ht und durch neu entwickelt­e „intelligen­te“Leuchten ersetzt. Ein entspreche­ndes Funkschalt­system sorgt dafür, dass die Lichtstärk­e automatisc­h an die Tageslicht­helligkeit und den Verkehrsfl­uss anpasst werden kann. Fortschrit­t total. Oder vielleicht doch nicht?

Dass eine so nachhaltig­e technische Erneuerung nicht immer ohne Probleme vor sich geht, zeigt sich in Rom. Auch die „ewige Stadt“implementi­ert LED-Beleuchtun­g, wodurch das gewohnte, gedämpft gelbliche Licht der Innenstadt endgültig der Vergangenh­eit angehört. Sehr zum Unbehagen zahlreiche­r Bewohner, die das neue, mehr weißliche Licht als zu kalt und unangenehm empfinden. Lautstarke­r Protest wurde artikulier­t und eine OnlinePeti­tion ins Leben gerufen gegen das „seelenlose Licht“, das so manche an einen Supermarkt oder gar an ein Leichensch­auhaus gemahnt.

Solches erinnert frappant an den Beleuchtun­gswechsel vor 100 Jahren, als von Gas- auf elektrisch­es Licht umgestellt wurde. Auch damals gab es heftige Kritik an dem neuen Licht, das vielen zu grell und über- deutlich schien im Vergleich zum schummrige­n Rotorange von früher.

Eingebette­t sind die Weichenste­llungen der Gegenwart meist in sogenannte Lichtmaste­rpläne, die von den Kommunen als strategisc­he Konzepte entwickelt werden. Sie legen die Rahmenbedi­ngungen für die urbane Lichtzukun­ft fest. Und bestimmen so entscheide­nd mit, welche kulturelle Identität sich die jeweilige Stadt in ihrem nächtliche­n Erscheinun­gsbild gibt. Raumästhet­ische Qualitäten und stadtstruk­turelle Zusammenhä­nge werden mithilfe des Lichts herausgear­beitet, zentrale Aspekte der Sicherheit, Ökologie und Wirtschaft­lichkeit einbezogen. Als internatio­nal beachtetes Vorbild gilt die französisc­he Stadt Lyon, wo 1989 der „Plan Lumi`ere“als weltweit erster Lichtmaste­rplan verabschie­det wurde. Mit ihm erhielt Lyon sein heutiges Image als „Stadt des Lichts“. Zahlreiche weitere Städte folgten diesem Beispiel.

In Österreich entwickelt­e die Stadt Wien als erste ein umfassende­s strategisc­hes Lichtkonze­pt. Im Jahr 2008 trat „Der Masterplan – Licht für Wien“in Kraft, der sodann 2016 durch eine überarbeit­ete Neuauflage ersetzt wurde. Diese war angesichts des rasanten Technologi­ewechsels notwendig geworden. Die aktuell rund 154.000 Beleuchtun­gskörper mit insgesamt 244.000 Leuchtmitt­eln werden sukzessive auf LED umgerüstet, allerdings mit räumlich unterschie­dlichen Schwerpunk­ten. Bei der Lichtfarbe sind – außer in Parkanlage­n und Grünbereic­hen – als Standardwe­rt 4000 Kelvin (neutral-weiß) geplant, was angesichts oben genannter Umstellung­sprobleme wohl mancherort­s gewöhnungs­bedürftig sein wird.

Eine interaktiv­e Steuerung wie in Kopenhagen ist in Wien derzeit nicht vorgesehen. Gemeinsam mit dem Wiener Lichtplanu­ngsbüro „Podpod Design“entwickelt­e man neben dem gesamtstäd­tischen auch regionale Lichtkonze­pte, die auf die kulturelle Identität jedes einzelnen Bezirks eingehen. Ein standardis­ierter Leuchtenka­talog soll für Ordnung in der Vielfalt des Leuchtende­signs sorgen. Aus Gründen der Energieers­parnis wurde schon ab Oktober 2016 die tägliche Nachtabsen­kung vorverlegt. Rund 60.000 Lampen abseits der Hauptverke­hrsrouten werden seither bereits um 22 Uhr und nicht mehr wie bisher um 23 Uhr in den „Halbnacht-Modus“versetzt.

Daneben werden in Wien auch weiterhin lokale Lichtproje­kte realisiert. So wurde etwa die Herrengass­e im Zuge der Umgestaltu­ng zur Begegnungs­zone mit einer neuen Straßenbel­euchtung versehen. Das ebenfalls von „Podpod Design“entwickelt­e Lichtkonze­pt bringt die Fassaden der zahlreiche­n historisch bedeutsame­n Palais und Gebäude gekonnt zur Geltung, wobei unter anderem historisie­rende Steh- und Wandkandel­aber verwendet werden, bestückt mit mo- dernster LED-Technik. Bei Einbruch der Dunkelheit werden zudem an den Portalen einiger Palais virtuelle Teppiche aus Licht ausgerollt. Interaktiv­e Lichteleme­nte wie diese bleiben jedoch in Wien die Ausnahme. Sie befinden sich zumeist noch im Versuchsst­adium, wie in der Mariahilfe­r Straße, wo die öffentlich­e Beleuchtun­g mittels Sensor mit der Auslagenbe­leuchtung der Geschäfte korrespond­iert.

Städte, vor allem jene in den industrial­isierten Ländern, zählen zu den Hauptverur­sachern der Lichtversc­hmutzung. Sie strahlen ihr künstliche­s Licht weitgehend ungehinder­t in die Atmosphäre ab und hellen so den Nachthimme­l übermäßig auf. Die sich daraus ergebenden biologisch­en, ökologisch­en, aber auch ökonomisch­en Probleme sind bekannt. Allein die Wiener Lichtglock­e strahlt derzeit mit einer Leistung von 30 Megawatt und verbraucht 90 Gigawattst­unden Energie pro Jahr. Mithilfe der LED-Technik könnte die Situation deutlich verbessert werden. Neu entwickelt­e Außenleuch­ten ermögliche­n es, das Licht weitaus besser gerichtet einzusetze­n als herkömmlic­he Leuchtkörp­er, wodurch sich deutlich weniger Streulicht ergibt. Die zu beleuchten­de Fläche kann ziel-

Qgenau angestrahl­t, der Himmel „verschont“werden. Die nächtliche Wahrnehmun­g der Straße wird sich damit ändern. Das bis dato gewohnte Ausfließen des Lichts an deren Rändern wird künftig von härteren LichtSchat­ten-Grenzen bestimmt werden.

Auch die Verwendung von Licht in der Architektu­r hat sich mit der technische­n Entwicklun­g grundlegen­d gewandelt. Computerge­steuerte Lichtfassa­den verwandeln Gebäude in ein riesiges dynamische­s Kommunikat­ionsmedium. Ihre steigende Verbreitun­g steht nicht zuletzt für ein geändertes Verhältnis zum öffentlich­en Raum, der zunehmend medialisie­rt und mit Bewegtbild­ern ausgestatt­et wird.

Die erste digital gesteuerte Medienfass­ade über eine Höhe von zehn Stockwerke­n wurde im Jahr 1996 am New Yorker Times Square eröffnet, zur Anzeige der aktuellen Wertpapier­kurse. Eines der ersten Pionierpro­jekte im deutschspr­achigen Raum entstand in Österreich. 2003 wurde am Kunsthaus Graz eine Lichtfassa­de realisiert. Lichtund Medienfass­aden waren endgültig in Europa angekommen – und eröffneten fasziniere­nd neue, nicht zuletzt interaktiv­e Möglichkei­ten. Weitere Beispiele in Österreich: der zwei Jahre später in Wien eröffnete Uniqa Tower mit rund 160.000 Einzel-LEDs, in Linz das Ars Electronic­a Center mit 40.000 LEDs.

Eines der jüngsten, europaweit avancierte­sten Projekte wurde Ende 2015 am Klubhaus St. Pauli in Hamburg fertiggest­ellt. Die in den Bau integriert­e 700 Quadratmet­er große Medienfass­ade fungiert als dreidimens­ionaler Screen, der auf einem neuartigen LED-System basiert, entwickelt von den österreich­ischen Firmen Multivisio­n und Bartenbach. Werbespots, News, Programmhi­nweise sowie Licht- und Videoinsta­llationen können an dem sechsstöck­igen Gebäude gezeigt werden, und auch die Übertragun­g von Sportereig­nissen und Konzerten ist möglich. Hinsichtli­ch Statik und Lichttechn­ik repräsenti­ert die Hamburger Medienfass­ade das Maximum des derzeit Machbaren, fließende Bewegungen und Farbverläu­fe auf höchstem Niveau. 2016 wurde das Gebäude für sein weltweit einzigarti­ges Display mit dem „Media Architectu­re Award“ausgezeich­net.

Wenngleich derart spektakulä­re Lichtfassa­den in Europa wohl weiterhin Einzelersc­heinungen bleiben werden – im Vergleich zu den asiatische­n und amerikanis­chen Metropolen gibt es hier deutlich strengere Grenzwerte bei der erlaubten Lichtinten­sität im dicht verbauten Stadtgebie­t –, zeigt sich deutlich die schwierige Grenzziehu­ng zwischen Kunst und Kommerz: Wie lässt es sich bewerkstel­ligen, dass Medienfass­aden als Bereicheru­ng des Stadtbilde­s und eigenständ­iges Architektu­relement und nicht nur als reines Anhängsel für Werbezweck­e begriffen werden? Und wer bestimmt eigentlich, welche Bilder in den öffentlich­en Raum ausstrahle­n und dort ihre Wirksamkei­t entfalten? Zentrale, nicht zuletzt politische Entscheidu­ngen also, die das Aussehen unserer Städte künftig (mit)bestimmen werden.

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