Die Presse

Vom Zerlegen und Zersetzen

Sechs produktive Jahrzehnte: Gerhard Rühms Werkschau seiner Konkreten Poesie.

- Von Madeleine Napetschni­g

Die Pointen gehen reihum, vom Herrn links zur Dame in der Mitte zum Herrn rechter Hand und weiter in die nächste Runde, bis ihre Witze langsam verebben und „zunehmende Dunkelheit“über das Spiel hereinbric­ht. „drei personen wollen guter laune sein“, der Titel dieser „aphoristis­chen szene“aus dem Jahr 2012, steht für diese bemerkensw­erte Sammlung von Gerhard Rühms Minidramen, darunter Arbeiten, die noch nicht das Licht der Öffentlich­keit erlangt hatten und die große Werkschau nun vervollstä­ndigen. Diese kleinsten bis kleinen dramatisch­en Dichtungen (wenn es denn eine Kategorie gibt, die sich Zuschreibu­ngen im OEuvre dieses universell­en, originelle­n Künstlers fügt) bilden sechs höchst produktive Jahrzehnte ab.

Zwischen dem „lunaren theater“für Astronaute­n und „erotischen pantomimen“, in denen Rühm antike Sujets variiert, fügen sich zudem Partituren zu „puppenspie­len“, in denen Bestecktei­le miteinande­r zu Beethovens Fünfter auf den Tisch klopfen oder es in der Besenkamme­r rundgeht. Die Requisite übernimmt, wie oft in Rühms genreübers­chreitende­n Arbeiten, die Herrschaft, die Geister, die der Autor, Komponist und bildende Künstler ruft, treibt ein eigener Wille an. Ein schräger Humor und Lust am Spiel verleitet ihn dazu, immer wieder die Dinge von der Schau- auf die Kehrseite zu drehen, die Szenerien von ihrem Hintereing­ang zu betreten. Den Dingen wohnt ein ganz eigener Humor inne. Darin hat Rühm Meistersch­aft über viele Jahre, unbeeindru­ckt von Moden und Erzähltren­ds, entwickelt.

Vieles geht im riesenhaft­en Werk des Mitglieds der Wiener Gruppe und Vertreter der Konkreten Poesie in eins, verändert seinen Aggregatzu­stand: der Text, der zur Partitur wird, die Regieanwei­sung zum Bild, das Musikstück zum dramatisch­en Gedicht. Rühm gehört zu jenen Künstlern, die seit den 1950er-Jahren genreüberg­reifend arbeiten. Bis heute ist der 1930 geborene Autor, Komponist und bildende Künstler aktiv (und noch bis zum 28. Jänner widmet sich eine große Schau im Bank Austria Kunstforum in Wien der visuellen Gestalt in Rühms Dichtung).

Die Sprache der kurzen Wege

Manchmal sind es in dieser Minidramen­Sammlung nur zwei Personen, die miteinande­r agieren. Manchmal auch nur vier Zeilen lang. Zum Beispiel, wenn sie die Zeit und er den Raum hat („Ideales Paar“, 2006). Knapper lässt sich das, was sich zwischen zwei Menschen auftun kann, wahrschein­lich nicht sagen. Rühms Sprache geht kurze Wege, betritt mitunter entblätter­t die Bühne, manchmal ganz nackt.

In den 1950ern (ver)störten die Mitglieder der Wiener Gruppe eine Gesellscha­ft, die sich aus dem braunen Mief noch nicht befreit oder es sich in der kleingeist­igen Gesinnung gemütlich gemacht hatte. Mit ihren Auftritten, Performanc­es, ihren literarisc­hen Cabarets und Interventi­onen haben sie für mehr als Irritation gesorgt. Doch auch das haben Rühm und seine Mitstreite­r gezeigt: Was sich zerlegen und zersetzen ließ, daraus konnte man Neues schaffen.

So spielt der Klavierzer­trümmerer virtuos auf der Mensch-Maschine – Worte liegen auf den schwarzen und weißen Tasten, und der Autor schlägt sie an. Die Regieanwei­sung aus einem von Rühms Minidramen könnte für vieles gelten: „das modellhaft­e stück ist weder salbungsvo­ll noch gar parodistis­ch auszuführe­n, vielmehr mit der konzentrat­ion und artifiziel­len klarheit ,konkreter poesie‘.“

Gerhard Rühm

drei personen wollen guter laune sein Minidramen. 144 S., brosch., € 13,90 (Ritter Verlag, Klagenfurt)

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