Mein Haustier ist Rassist
Warum Nietzsche nicht in die Hände der Leser und eine 14-Jährige nicht in einen Roman will. Und warum man einen politisch verdächtigen Hund nicht mit Antidepressiva kuriert. Neue Kinder- und Jugendbücher: sechs Empfehlungen.
MEERWASSER IN DEN ADERN
„Lange war ich dann am glücklichsten, wenn das Wasser anstieg und uns von allem anderen trennte, sodass wir zwei allein alles entscheiden konnten, was zu entscheiden war.“Crow, ein zwölfjähriges Mädchen, Osh, ein Mann mittleren Alters, und eine rauhe kleine Insel: Über sie und die Suche nach Wurzeln und Familie hat US-Autorin Lauren Wolk einen Roman geschrieben, der ziemlich sicher zum Dauerinventar guter Jugendbuchabteilungen werden wird. Crow wurde als Neugeborene von Osh gefunden und aufgezogen, mit ihm fängt sie Hummer, beobachtet Weißseitendelfine, entdeckt Treibgut, diskutiert über Ebbe und Flut. Aber „wenn es um Dinge jenseits unseres Lebens auf den Inseln ging, dann wurde Osh zu so etwas wie der Mond selbst und versuchte, mich zurückzuziehen wie der Mond das Meer bei Ebbe. So als liefe Meerwasser durch meine Adern statt Blut.“Crow macht sich auf die Suche nach ihrer Herkunft. Mysteriöse Insel und Schatzsuche inklusive. Lauren Wolk, die Autorin, lebt auf einer Halbinsel im Süden von Massachusetts und hat sich auch von Recherchen über das Leben auf den Inseln in den 1920er-Jahren inspirieren lassen – die Leprakolonie auf der Insel Pekinese etwa hat es wirklich gegeben. Spekulatives für Shakespeare-Spezialisten: Die Nachbarinsel Cuttyhunk gehört zu den Elisabeth-Inseln; ein Bericht darüber, vermuten manche, könnte Shakespeare zu seinem Stück „Der Sturm“mitinspiriert haben. Lauren Wolk: Eine Insel zwischen Himmel und Meer. Ab elf Jahren. 288 S., € 5,40 (Deutscher Taschenbuchverlag).
ANTIDEPRESSIVA FÜR DEN HUND
Alle möglichen Probleme kann ein Findelhund seiner neuen Familie bescheren. Aber auf die Idee der französischen Autorin und Sängerin Audren wird man nicht so schnell kommen: Miezi bekläfft und beißt ausschließlich Menschen dunkler Hautfarbe, sodass sich bei der Nachbarin ein Verdacht aufdrängt: „Ist er nicht ein wenig rassistisch, euer Hund?“Ein Problem, das auch die vom Hundepsychologen verschriebenen Antidepressiva nicht lösen können. Noch dazu gerät durch Miezi die ganze Familie in Verdacht. Der zehnjährige Mael¨ ist bei den Freunden abgestempelt, gegen die Sippenhaft hilft keine Logik (etwa „Mein Hund liebt Trockenfutter, ich nicht“). Am Ende bringt eine dunkelhäutige Dea ex Machina, von Beruf Stuntfrau, die Lösung – und damit auch für die Menschen Hoffnung: Denn wenn sich das tiefste Innere eines Hundes verändern kann, dann wohl auch das von Menschen. Von Rassismusaufklärung für Kinder ist das herrlich schräge Büchlein trotzdem weit entfernt. Die Mischung aus unbekümmertem Witz und Sensibilität macht seinen Reiz aus. Hoffen wir, dass politisch überkorrekte Zensoren dran nichts verdächtig finden . . . Audren/Clement´ Oubrerie: Mein Hund ist Rassist. Ab acht Jahren. 44 S., € 15,50 (NordSüd Verlag).
F SCHMECKT WIE HIMBEEREIS
„,Das mit den Wörtern ist ganz einfach‘, sagt der Frosch. „Man verschluckt am besten so wenige wie möglich, dann hat man keinen Ärger.“Das B gehe schön die Speiseröhre runter, findet das Zebra, das O schmecke wie geplatzter Kaugummi. „Das P ist ein Widerhaken. Da bleibt einfach alles hängen.“Und wer kann beweisen, dass eine Büchse Büchse heißt? Über „Die Tiere und ihre Wörter“hat der österreichische Autor Wolfgang Hermann, bekannt etwa für die „Faustini“Romane, ein Sprachspiel- und -nachdenkbuch geschrieben. Da wundert man sich, dass er nicht längst Kinderbücher macht. Er wirft philosophische Fragen in einem Ton auf, den Kinder verstehen und lieben müssen. Wolfgang Hermann/Katharina Sieg: Die Tiere und die Wörter. Ab vier Jahren. 48 S., € 19,95 (Nilpferd Verlag).
NIETZSCHE HASST FINGERABDRÜCKE
Zum ersten Mal hat Cornelia Funke, die berühmte deutsche Kinderbuchautorin mit Wahlheimat in Los Angeles, ein selbst illustriertes Bilderbuch gemacht, zum ersten Mal zunächst auf Englisch veröffentlicht. Jetzt ist es auf Deutsch erschienen. „Das Buch, das niemand las“erzählt von einem fünfjährigen Buch namens Morry – eine Anspielung auf Maurice Sendak, dem Funke auch in den entzückenden Illustrationen deutlich ihre Reverenz erweist. Morry steht im Regal und will endlich gelesen werden; im Unterschied etwa zu Nietzsche neben ihm, der froh ist, wenn er keine Fingerabdrücke abbekommt. Eine empfehlenswerte Petitesse über das Glück, (s)einen Leser zu finden. Cornelia Funke: Das Buch, das niemand las. Ab vier Jahren. 48 S., € 16,50 (Dressler Verlag).
DIESE PUNKTE SIND EINE KATZE
Es ist dieselbe Katze, doch auf jeder Seite sieht sie anders aus. Der Fisch sieht riesige Augen, die Biene bunte, die Fledermaus weiße Punkte, der Schlange erscheint sie gelb-rot. „Alle sehen eine Katze“von Brendan Wenzel vermittelt kleineren Kindern ein großes Thema: wie unterschiedlich die Welt gesehen wird – und werden kann. Brendan Wenzel: Alle sehen eine Katze. Ab drei Jahren. 44 S., € 15,50 (NordSüd Verlag).
AUTORIN MIT BÖSEN ABSICHTEN
Die 14-jährige Kim stößt auf ein Buch, das von ihr zu erzählen scheint. Da sind dieselben Ikea-Blümchen im Zimmer, die Mutter, die im Bett liegt und nicht mehr isst, der Vater, der eine neue, von ihm schwangere Freundin hat. Das Buch erzählt somit auch von ihrer Zukunft, ist sie überzeugt, vor allem von ihrer Beziehung zu einem Buben – und hier wird die Geschichte richtig schlimm. Die Autorin „hatte ihren Grund, sich Jonathan gleich zu Beginn vorzunehmen. Es hatte einen Zweck, der so böse war, dass ich darüber nicht länger nachdenken konnte.“Dass wir beim Lesen immer wieder das Gefühl haben, es wird von uns erzählt, gehört zu den beglückendsten, auch beklemmendsten Seiten des Lesens. Die russisch-deutsche Autorin Alina Bronsky spielt in ihrem Roman „Und du kommst auch drin vor“spannend, locker und zugleich hintersinnig mit dieser Erfahrung, und wie viele Autoren verknüpft sie dieses Spiel mit der Frage, wie weit wir Herr beziehungsweise Herrin unserer Geschichte sind. Bronsky gehört zu den seltenen Autoren, die für Jugendliche und Erwachsene großartig schreiben können. Zwei ihrer Romane, „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche“und „Baba Dunjas letzte Liebe“, standen auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, als Jugendbuchautorin hat sie mit ihrem Roman „Scherbenpark“über eine Siebzehnjährige, deren Mutter von ihrem Stiefvater ermordet wird, für Aufsehen gesorgt. So wild geht es in „Und du kommst auch drin vor“nicht zu, ganz leicht macht sie es den Lesern thematisch aber auch hier nicht. Dafür sprachlich – Alina Bronsky kann damit auch weniger lesefreudige Jugendliche lesesüchtig machen. Alina Bronsky: Und du kommst auch drin
vor. Ab elf Jahren. 192 S., € 17,50 (Deutscher Taschenbuchverlag).