Auf dem Rad durch Soweto
Südafrika. In Johannesburg und Soweto sollte man ein bisschen Zeit investieren: Beide sind echt heiße Städte, die sich rasant entwickeln.
Vor dem Fahrradschuppen von Lebo’s Backpackers steht ein Premiumreisebus und glänzt wie das sprichwörtliche frisch lackierte Hutschpferd. Alle Tische im Innenhof und in dem auf der anderen Straßenseite gelegenen Park, der auch zur Anlage gehört, sind besetzt, das Buffet ist eröffnet. Dem bunten Gedeckmix aus wenig Porzellan-, Glas-, Plastikund Blechtellern fehlt es eindeutig an genügend Besteck, und Taschenmesser sind ganz offensichtlich nicht Stil der Tafelgesellschaft.
Es sind Reisebüroteams aus Europa beim „Arme-Leute-Sightseeing“und auf „Geheimtippchecktour“. Tatsache ist, dass in den South Western Townships Einnahmen aus allen Sparten des Tourismusgeschäfts durchaus gefragt sind, Soweto-Trips beginnen, trendy zu werden. Gut so, auch wenn der Individualreisende wieder einmal das elitäre „Rucksacklernaserl“rümpft. Für Authentizität ist aber reichlich gesorgt. Übernachtungs- und Mehrtagesgäste der Orlando-West-Radlerherberge können sich am Morgen für ein ausgezeichnetes Chili anmelden, viel mehr gibt’s nicht, und Löffel sind ja variantenreich vorhanden.
Die Sehenswürdigkeiten der 1963 gegründeten Dreieinhalb-Millionen-Einwohnerstadt auf 130 Quadratkilometern mögen hinter Rom und Paris etwas nachhinken, das Gesamtkunstwerk einschließlich Townshipflair hat aber seine einzigartigen Hotspots. Dass Soweto ein einziger riesiger Hüttenhaufen sei, ist ein Vorurteil. Kleine oft ebenerdige Häuser prägen das afrikanische Mittelstandsbild von „Dube“, auch Zuwächse wie die Diepkloof Extension gelten als eine der sichersten Zonen in Großjohannesburg. Daneben bestehen aber auch Armenviertel mit skandalösen sanitären Bedingungen, die meist von Neuzuwanderern aus den Nachbarstaaten Südafrikas bewohnt werden. In den mehr oder minder illegalen Siedlungen herrschen oft regelrechte „Favela-Zustände“.
Soweto ist etwa zwölf Kilometer von Johannesburg entfernt und besteht aus etwa 30 Townships mit klingenden Namen wie Phomolong (Platz zum Ausruhen); von 1983 bis 2002 eigene Stadt, nun Teil der Metropolgemeinde City of Johannesburg. Als 1904 in den Slums Johannesburgs die Beulenpest ausbrach, kam es zur Umsiedelung von 3000 indischen und schwarzen Einwohnern. In der zweiten Etappe Mitte der 1930erJahre wurde eine Anzahl einfacher Häuser auf dem Gebiet des heutigen Orlando, des nunmehr größten Stadtteils, errichtet. Zu Beginn der Apartheid, nach dem Wahlsieg der National Party 1948, wurden die Siedlungsgebiete im Südwesten von Johannesburg nach rassistischem Programm gezielt erweitert. Das „Oppenheimer-Darlehen“begründete nach 1950 die Errichtung von 24.000 Hauseinheiten. Seit 1994 werden Stadtentwicklungsprogramme, zumindest in Teilgebieten, vermehrt umgesetzt.
Im Juni 1976 kam es zum folgenschweren „Schüleraufstand“mit zwischen 10.000 und 20.000 Teilnehmern im Township Orlando. Anlass dazu war, dass Afrikaans, die Sprache der weißen Südafrikaner, als verbindliche Unterrichtssprache eingeführt werden sollte (Africaans Medium Decree). Überhaupt war die Struktur des Sprachunterrichts seit Jahren landesweiten Protesten ausgesetzt und heizte die brisante politische Stimmung in dem nach Grundsätzen der Rassentrennung regierten Staat an. Da die Schwarzen dieses dem Niederländischen entstammende Idiom nur unzulänglich oder gar nicht beherrschten, sahen sie sich als Verlierer des Bildungssystems. Die Demonstration eskalierte, bereits zu Mittag des 16. Juni gab es zwei tote Schüler durch Schusswaffeneinsatz der Kräfte der Orlando Police Station. Diese Auseinandersetzung war Auftakt zu
Günstig mit Ethiopian Airlines von Wien via Addis Abeba nach Johannesburg (hin) und retour via ADD und FRA, ab 700 Euro. ethiopianairlines.com
Lebo’s Soweto bietet neben Sightseeingtouren mit dem Tuk-Tuk (zwei Stunden 31 € p. P., vier Stunden 46 €) auch zweistündige (34 €), vierstündige (41,5 €) und ganztägige Fahrradtouren (53,3 €). Dreistündige Führungen zu Fuß kosten 25 €. sowetobackpackers.com Unruhen und Streikwellen, die sich bis 1978 fortsetzten und mehr als 500 Todesopfer forderten.
Soweto wirkt flach, ist es aber nicht, wie man beim Radeln rasch bemerkt. Die vierstündige Route bietet zwar jede Menge Stopps mit kundigen und kritischen Ausführungen sehr engagierter Guides, etwas Wadentraining mit im Reisegepäck schadet aber nicht. Es wird keine rosa Brille aufgesetzt, die Slums gehören ebenso zum Programm wie die propere Gegend um die Vilakazi Street, die einzige Straße der Welt, die Heimat von gleich zwei Friedensnobelpreisträgern war: Nelson Mandela und Desmond Tutu.
Nun verbindet man Soweto vorwiegend mit Antiapartheidaktivisten, es ist aber auch Fußballmetropole, Künstler- und Musikerstadt. Jazzer wie Vusi Kuhmalo, Komponist Lebo M und Popsängerin Yvonne Chaca Chaca bestim-
Um es vorwegzunehmen, das Einbahnsystem der Riesenstadt ist unübersichtlich, und den Sicherheitsstandard von Gramastetten an der Rodel darf man sich in Johannesburg nach wie vor nicht erwarten. Tagsüber ist das Zentrum auch mit Öffis und auf eigene Faust aber unproblematisch zu erkunden, allerdings ist man bei der Stadtwanderung in Begleitung eines einheimischen Guides unbekümmerter unterwegs. Und immer Blick nach unten richten: Die eisernen Kanaldeckel werden gern geklaut und verhökert, eine Praxis, die sich allerdings nicht auf Afrika beschränkt.
Einsichten in die Geschichte Südafrikas gewähren das höchst sehenswerte Apartheidmuseum und Constitution Hill, das erste Gefängnis. Errichtet lang vor der staatlich verordneten Rassentrennung und von Burenführer Paul Kruger als Trutzburg gegen den britischen Imperialismus um 1900 ausgebaut (Besichtigung nur mit Führung). Kulinarische Schmankerln der Extraklasse, aber auch ein Höllengedränge bietet der samstägliche Neighbourgoods Market auf mehreren Parkdecks an der Juta Street. Hingehen ist ein Muss, und ein Sitzplatzerl findet sich dann schon irgendwann, zu sehen gibt es jedenfalls jede Menge. Auch die Stippvisite im originellen und echt coolen Backpackers Curiosity und die sehenswerten Graffiti der Umgebung bieten lohnende Fotomotive. Neue, schicke, als „absolut in“rangierende Viertel wie Maboneng könnten schon eine Entwicklung hin zu „Afropolis“einleiten, vieles geht durchaus voran. Aber nach wie vor gibt es auch „many dirty streets“in Joburg. Johannesburg und Soweto sind mehr als ein lästiger Zwischenstopp auf einer Flugroute. Wer sich einige Tage Zeit nimmt und auf diese doch recht heiße Stadt einlässt, wird ein wertvolles Stück Erfahrung auf seinem Weg durch die Welt gefunden haben.