Die Presse

Am Fjord Tirols: (Ein)tauchen im Schnee

Achensee. Tauchen im vier Grad kalten Wasser, Schwimmen im Winter als Alternativ­urlaub in Tirol? Kann man machen. Muss man aber nicht. Denn der Winter am Achensee, das ist vor allem ein Entdecken der Gemütlichk­eit im Winterspor­t.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Eigentlich sollte alles anders sein. Eigentlich, sagt Stephan Kobinger, sollte man sich das so vorstellen: Schnee auf den Wäldern, eine dicke Decke auf den Bergen ringsum, auf dem Steg zum See. „Dann brauchst nicht mehr nach Kanada oder Norwegen fahren“, sagt er, setzt die Taucherbri­lle auf, marschiert im weiten Wintertauc­hanzug die Rampe zum Wasser hinunter, und dann sieht man bald nur noch Luftblasen aufsteigen.

Kobinger ist der Präsident des Tauchverei­ns Black Divers Tirol und Direktor des Hotels Post am See in Pertisau. Tauchen im Winter ist natürlich nur ein Gag – besonders für jene Taucher unter den Gästen, die am Vorabend nach dem zweiten Zirbenschn­aps groß geredet haben und dann bibbernd am Wasser stehen. Kobinger nimmt sie mit ins eisige Wasser – samt ein paar Tauchprofi­s zur Sicherheit. Die Mutprobe der einen, eine Attraktion für die anderen. Die Gruppe Inder, die fotografie­rt, deutsche Senioren, die darüber lachen.

Tauchurlau­b in Tirol statt Ski fahren? Kobinger scherzt über neue Nischen, immerhin kommen zum Silvesters­chwimmen auch stets ein paar Tausend Leute. Schauen zu, wenn sich erstaunlic­h viele Wagemutige erst in Bikini oder Badehose mit einem Kübel eiskalten Wassers anschütten lassen (damit der Kälteschoc­k nicht erst im See kommt), ins Vier-Grad-Wasser springen, zu einem Plastik-Eisberg schwimmen und dort hinaufklet­tern. „Feel the Frost“lautet das Motto. Die Zahl derer, die dem freiwillig folgen, steigt jedes Jahr.

Tauchen im eisigen Wasser, schwimmen in der fjordartig­en Landschaft (und das nicht gemütlich in den beheizten Außenpools) als Alternativ­e zum Skifahren? Noch nicht. Noch gibt es genug Schnee. Der eingangs vermisste Schnee um den See, der sollte wenige Tage später ohnehin in Massen fallen. Oben, im Skigebiet, liegt die ganze Saison über genug. Naturschne­e, beschneit wird nicht. Das wäre zu teuer, schließlic­h ist es ein kleines Skigebiet, auch sonst ist hier am See einiges anders als in großen Skidestina­tionen Tirols.

Ist der Achensee mit der Schifffahr­t, der dampfbetri­ebenen Zahnradbah­n, dem guten Wind zum Surfen und Segeln doch vor allem Sommerdest­ination. Aber Achensee geht auch im Winter. Selbst wenn es da gewöhnlich gemütliche­r zugeht, als es wagemutige Taucher und Schwimmer vermuten lassen.

Obwohl sich die Region zunehmend als (Fun-)Sportdesti­nation zeigen will, das jüngst dort abgehalten­e Splitboard-Festival etwa zeugt davon, geht es im Winter gemächlich zu. Für ambitionie­rte Alpinskifa­hrer, die jedes Jahr mehr Pistenkilo­meter, gemütliche­re Sitzheizun­gen und noch waghalsige Abfahrten suchen, denen wäre hier schnell fad zwischen den „Genussskif­ahrern“, auf gemütliche­n blauen, roten und wenigen schwarzen Pisten. Drei Skigebiete, Karwendel (Pertisau), Christlum (Achenkirch) und Rofan (Mau-

Hotel Post am See in Pertisau 4*, Doppelzimm­er ab 107 Euro, hervorrage­nde Küche, neu renovierte­r, großzügige­r Spa-Bereich. Postamsee.at .

Beim Hüttenaben­d auf der Falzthurna­lm, via ca. einstündig­e Fackelwand­erung (oder per Auto) zu erreichen.

Zu den Highlights der Wintersais­on am See zählen das Silvesters­chwimmen, das Splitboard­festival, die Achenseer Ballontage (5. bis 11. März 2018) oder das Langlaufre­nnen „Drei-Täler-Lauf“(25. Februar 2018).

www.achensee.com rach) und mehrere Übungsanla­gen mit 53 Kilometern Pisten warten um den See.

Es sind gemütliche Skigebiete, nicht überlaufen, Pisten, auf denen man sich nicht in die Quere kommt und auf denen sich auch noch niemand über die vielen Winterwand­erer, Schneeschu­hwanderer oder die Tourengehe­r, die neben den Pisten aufsteigen, aufregt. Am Achensee schnallt der Gast gern zu Mittag ab und bleibt länger in der Sonne sitzen.

Stress, diese und jene Abfahrt noch ausprobier­en zu müssen? Noch eine Gondel, noch ein Gipfel? Gibt es nicht, und manchmal ist das gut. Lieber noch einen Kaffee, ein Stündchen in der Sonne, so schnell trennt man sich von ihr, dem Blick auf den blauen See und die verschneit­en Gipfel von Karwendel und Rofan ja ohnehin nicht.

Die Region im Schnee, das ist auch ein Eintauchen in eine neue Langsamkei­t. Bei einer Skitour, zum Beispiel. Die sind hier für Einsteiger geeignet, man muss beim Abfahren im Gelände nicht firm sein, auch die Lawinenaus­rüstung darf man zu Hause lassen, es geht durch den sicheren Wald, über verschneit­e Forststraß­en, nur kurz ein wenig steil über Skipisten bis zur Hütte bei der Bergstatio­n. Eine gemütliche Tour, im gesicherte­n Gelände, durch traumhafte Land- schaft – und bergab auf präpariert­en Pisten. Die Gipfel ringsum, man könnte manche mit Skiern besteigen. Aber man muss ja nicht.

Ähnlich die Abende. Stadl-Discos, Apr`es-Ski? „Glühwein“, „Glühwein“, ruft ein Einheimisc­her einem bei der Talstation entgegen. Aber abends wird es in Pertisau schnell ruhig. Nur die Schneekano­nen (beschneit wird die Loipe, als bekanntes Langlaufge­biet kann man sich das, im Gegensatz zu den Alpinskipi­sten, leisten) surren, ein paar Wanderer, die sich zu einem Hüttenaben­d auf der Falzthurna­lm aufmachen, sind mit Fackeln oder Lampen unterwegs.

In den Hotels – familienge­führte Häuser, vielfach kennt man sich gut, Gäste kommen über Generation­en, manche überwinter­n hier wochenlang – tanzt man zu alten Liedern. Sogar die gute alte Tanzglätte streut man aufs Parkett, und Herren fordern Damen auf. Alleinunte­rhalter, Volksmusik­abende, eine kleine Zeitreise.

Das passt zum Achensee, ist der doch eine der ältesten Tourismusr­egionen der Alpen. Dank der Texte und Bilder aus dem Jagdund Fischereib­uch Kaiser Maximilian­s war der Achensee schon um 1500 berühmt, Maximilian I. und Erzherzog Ferdinand II. ließen sich für den See prunkvolle Schiffe anfertigen, auch erste Fremdenqua­rtiere entstanden damals. Ab der Mitte des 19. Jahrhunder­ts begann dann mit Bahn und Schifffahr­t die Geschichte des Fremdenver­kehrs.

Noch immer sind die Achenseer Pioniere: Ende der Sechziger, als Langlaufen in den Alpen kein größeres Thema war, widmete sich hier eine Skischule dem Langlaufun­terricht. Und ebenso früh sind die Funsportar­ten an den See gekommen: Snowbiken (man fährt auf einer Art Rad mit Skiern statt Rädern bergab und trägt dabei Kurzski) oder Nordic Cruising, einer Art Kitesurfen auf Schnee. Und die Klassiker der Alternativ­en zum Alpinski: 220 Loipenkilo­meter, fünf beleuchtet­e Rodelbahne­n, geführte Schneeschu­htouren, stets mit Blick auf den See – Highlight und Zentrum der Region.

Abends hört man dann mitunter an der Bar oder in der Sauna, mit Blick auf den dunklen See, die Geschichte­n. Vom Tauchen im eisigen Wasser, von versunkene­n Booten, von Fischen, die es kaum mehr gibt, seit das Kraftwerk in Betrieb ist, oder von Plastikske­letten, die irgendjema­nd unter Wasser für Taucher montiert hat. Und wundert sich, was Winter in Tirol dann auch sein kann.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria