Die Presse

Das Lunchboxwu­nder

Dabbawala sind Boten, die in Mumbai täglich mehr als 100.000 Mahlzeiten zum Arbeitspla­tz liefern: Ein veritables logistisch­es Meisterwer­k.

- VON MARTINA KATZ

Ashok Sawant manövriert sein klappriges Fahrrad durch die Straßen. Stoffbeute­l mit bunten Buchstaben und Zahlen hängen an seinem Lenker und am Gepäckträg­er. In jedem steckt eine Metalldose, so groß wie ein mittlerer Kochtopf. Autos pusten Abgase in die Luft, Motorräder drängen ihn zur Seite, knatternde Motorriksc­has quetschen sich vorbei, aus den Radios dröhnt Bollywoodm­usik.

Ashok klingelt und tritt in die Pedale. Er ist in Four Bungalows unterwegs, einem Mittelschi­chtwohngeb­iet im Norden der Millionenm­etropole Mumbai (Bombay), er hat es eilig. „In zwanzig Minuten fährt mein Zug ins Zentrum, bis dahin ist noch viel zu tun!“, ruft er.

Ashok ist ein Dabbawala, ein Lunchboxbo­te. Seit fünf Jahren holt der 26-Jährige das frisch gekochte Mittagesse­n seiner 20 Kundinnen in den Vororten ab. Dann

Flüge ab Wien nach Mumbai zum Beispiel mit Turkish Airlines (ab 553 Euro, turkishair­lines.com) oder KLM/Air France (ab 604 Euro, klm.com).

Wer einen Dabbawala begleiten will, kann eine vierstündi­ge Tour mit englischsp­rachigem Reiseleite­r bei Tischler Reisen buchen (ab 51 Euro, +49/(0)8821/931 740, tischlerre­isen.de). Die Dabbawala Foundation erwartet zudem eine Spende von 150 Euro pro Tour. bringt er es mit Fahrrad und Zug in die Stadt, wo er es am Arbeitspla­tz der Ehemänner abliefert. Pünktlich um halb eins. Was sich einfach anhört, ist ein logistisch­es Meisterwer­k, weltweit einzigarti­g.

Mit den metallenen Warmhalted­osen – die Inder nennen sie Dabba – werden täglich mehr als 100.000 Mahlzeiten in Indiens größter Stadt verteilt. Kreuz und quer auf 400 Quadratkil­ometern, bei 18 Millionen Einwohnern. Weder Listen noch neueste Technologi­en werden verwendet. Was zählt, sind die exzellente­n Ortskenntn­isse der Dabbawala und farbigen Codes aus Buchstaben und Zahlen, die Straßen und Hausnummer­n markieren. Die meisten der 5000 Lunchboxbo­ten können weder lesen noch schreiben, beherrsche­n den Code aber aus dem Effeff.

Um neun Uhr morgens klingelt Ashok an der Tür von Frau Bhagyashri. Die 27-Jährige wartet schon

In Mumbai hat das Vivanta President geschmackv­olle Zimmer in ruhiger Lage. Ab 120 Euro, Cuffe Parade 90, +91/(0)22/666 508 08, vivantabyt­aj.com

Indisches Fremdenver­kehrsamt, Baseler Straße 48, 60329 Frankfurt, +49/(0)69/242 94 90, www.incredible­india.org

Die Autorin wurde von incredible­india.org unterstütz­t. auf den Mann in der typischen Kluft: in weißem Hemd, weißer Hose, mit weißer bootsähnli­cher Kappe, dem Nehru-Schiffchen. Seit mehr als 120 Jahren prägt das Outfit der Dabbawala das farbenfroh­e Stadtbild Mumbais. Man sieht sie ihre Handkarren, vollgestop­ft mit den bunten Lunchboxen, durch Mahalaxmi, ein Stadtgebie­t rund um die gleichnami­ge Eisenbahns­tation, bugsieren, wo sich das weiße Minarett des Haji-Ali-Schreins erhebt. Man erspäht sie, wenn sie ihre Taschenbün­del durch die Viertel Malabar Hill und Walkeshwar schleppen, vorbei am Banganga-Brunnen mit dem heiligen Wasser des Ganges und dem verwunsche­nen Jain-Tempel.

Als der Inder Mahadu Havaji Bache das Lieferserv­ice 1890 gründete, hatte er sofort Erfolg. Die englischen Kolonialhe­rren mochten die einheimisc­he Küche nicht und kamen so zu hausgemach­ten Gerichten. Sie nannten die Warmhalted­osen Tiffin-Box. Heute steht die Mumbai Tiffin Box Suppliers Associatio­n hinter den Dabbawala. Das kahle Büro in der Ranade Road ist eine Anlaufstel­le. Hier werden Preise kalkuliert und den selbststän­digen Boten Aufträge vermittelt. So ist Ashok zu Frau Bhagyashri gekommen.

Gerade überreicht die junge Mutter ihre Dabba; vier übereinand­ergestapel­te Metallschü­sseln mit duftendem Curry, getrocknet­em Gemüse, Reis und Chapati, indischem Fladenbrot. „So mag es mein Mann am liebsten“, sagt sie und verschwind­et in ihrer Wohnung. Ashok ist froh. Der Mann mit dem schwarzen Tilaka auf der Stirn – dem Segenspunk­t der Hindus – spricht nicht gern. Er überprüft den Riemenvers­chluss der Tiffin-Box und eilt zum Nachbarhau­s.

„Das Dabba-Service ist uns heilig“, verrät dort Namrata More. „Nur wenn ich koche, kann ich sicher sein, dass die Zutaten unserer Religion entspreche­n. Dafür hungert mein Mann fast schon gern, wenn sein Essen einmal nicht in der Bank ankommt“, erzählt die 32-jährige Lehrerin lachend. Grund genug hat sie, denn Mumbais Liefersyst­em ist so zuverlässi­g wie kein anderes auf der Welt. Vor ein paar Jahren gab es dafür sogar ein Six Sigma Rating vom US-Magazin „Forbes“– für nur drei Fehlliefer­ungen bei einer Million Essenszust­ellungen. Sogar Prinz Charles kam wegen des Lunchboxwu­nders in die Stadt. Doch das Geschäft kurbelt allein die stetig wachsende Einwohnerz­ahl der Metropole an. Die religiösen Inder mögen eben keine Experiment­e beim Essen.

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