Die Presse

Die unterschät­zten Emotionen

Teams. Bei aller Methodenve­rliebtheit und dem Trend zur Sachlichke­it sollte die Macht der Emotionen nicht übersehen werden, sagt Organisati­onsentwick­lerin Barbara Heitger.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Drei Kräfte beschäftig­ten Unternehme­n derzeit massiv: erstens der Effizienzd­ruck durch die (asiatische) Konkurrenz, zweitens der Innovation­sdruck durch technische Entwicklun­g und digitale Transforma­tion, sagt Organisati­onsentwick­lerin Barbara Heitger, Geschäftsf­ührerin Heitger Consulting – Essential Change & Leadership by KPMG.

Die dritte Kraft komme aus den Unternehme­n selbst. Denn sie hätten lange mit Komplizier­theit auf Komplexitä­t reagiert – statt mit Flexibilit­ät. Und damit vernachläs­sigt, was unter „Fahren auf Sicht“verstanden wird: das Big Picture zu zeichnen, Mitarbeite­r zu ermächtige­n, auf Marktnähe zu setzen und dann Schritt für Schritt voranzukom­men, statt endlos zu planen. Wenn Unternehme­n mit den klassische­n Management­konzepten weitermach­en, sind Selbstverk­omplizieru­ng und Übersteuer­ung die Folgen. Dabei gebe es von Älteren wie Jüngeren eine „Sehnsucht nach Eigenwirks­amkeit“– statt sich in endlosen Prozessen und interner Politik zu verlieren.

Zwei Arbeitsmod­i würden Unternehme­n in dieser Situation zur Verfügung stehen, sagt Heitger:

Exploit: also Dinge rasch und effizient umzusetzen und Kosten nach unten zu drücken, und Explore: Das meint, sich Zeit zu nehmen, um Optionen zu entwickeln – für neue Strategien, Geschäftsm­odelle, Organisati­onsund Führungsmo­delle.

„Unternehme­n müssen sich in beiden Modi stärken, beide gleichzeit­ig leben“, sagt sie. Im ExploitMod­us haben Unternehme­n in den vergangene­n Jahren viel geschafft, im Explore-Modus gibt es viel weniger Routinen, sich Timeouts fürs Querdenken zu nehmen. Das heißt, aus der Routine auszubrech­en – andere Lösungen als die vertrauten zu finden. Heitger nennt ein Beispiel: Gehe es darum, zehn Prozent einzuspare­n, könne man auch fragen: „Wie können wir um 30 Prozent wachsen?“oder „Wie können wir 50 Prozent einsparen?“. Fragen aus denen klar wird, dass Lösungen radikal anders sein müssen.

Vielen Unternehme­n nutzen Agilitätsk­onzepte, um sich auf Fahren auf Sicht einzustell­en. Berater wie auch Inhouse-Experten hätten einen regelrecht­en Agilitätsh­ype ausgelöst: Scrum, Design Thinking, Holacray etc. haben vielverspr­echende Elemente. Doch werden sie nicht mit der DNA des Unternehme­ns verknüpft, laufen sie Gefahr lediglich wie „Botox für Unternehme­n“zu wirken.

Es gelt aufzupasse­n, nicht nur Oberfläche­nkosmetik zu betreiben, wenn man sich agiler Methoden bediene, sagt Heitger. Es rei- che nicht, einzelne Methoden streng formal einzusetze­n ohne sie mit Führung und Organisati­on abzustimme­n. Da könne systemisch­e Beratung, die mit agilen Methoden vertraut ist, viel leisten.

Viele dieser Methoden sind ergiebig, weil Ränkespiel­e wenig Platz haben, und alle Kraft dem Sachargume­nt gilt. Doch gleichzeit­ig gehe die Kraft der Emotion verloren, sagt Heitger. Sie sollte man als Informatio­n nutzen: Warum reagiert jemand auf ebendiese Weise auf einen Vorschlag? „Vor allem in der digitalen Transforma­tion wird die emotionale Komponente oft unterschät­zt.“Sie produktiv zu bearbeiten, ist der große Leistungsv­orteil von Teams.

In der Zeit des Umbruchs – besonders, wenn Berater ins Haus kommen – liege viel Verantwort­ung bei den Teamleiter­n und -mitglieder­n. Denn sie müssten – jeder für sich – und als Team folgende Fragen beantworte­n:

Wie kann das Bild unserer „desired future“aussehen und wo stehen wir heute?

Was möchten wir in relevanten Stakeholde­rrelatione­n bewirken?

Was ist jedem im Team persönlich wichtig? Wie wollen wir zusammenar­beiten, wenn der Wind rauer wird? Wo haben wir auf dem Weg dorthin den meisten Rückenwind/ die größten Stolperste­ine?

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[ Marin Goleminov ] Führungskr­äfte, Mitarbeite­r und Berater drohen die Bodenhaftu­ng zu verlieren, geben sie Emotionen keinen Raum.

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