Die Presse

Herrin über die künstliche Intelligen­z

Porträt. Das „weltweit einzige Unternehme­n mit einer einsatzber­eiten und marktfähig­en starken künstliche­n Intelligen­z“soll Xephor Solutions sein. Am Firmensitz ist alles anders als erwartet.

- VON ANDREA LEHKY

KPMG-Partner und Digitalisi­erungsexpe­rte Werner Girth ist begeistert. Das Start-up Xephor Systems habe eine künstliche Intelligen­z entwickelt, einsatzber­eit und marktfähig – nicht im Silicon Valley, nein, in Purkersdor­f, westlich von Wien. Also nichts wie hin.

Die Kommandoze­ntrale: im Keller eines Einfamilie­nhauses. Die Chefin: blond, zierlich, mädchenhaf­t. Schon die ersten Worte von Isabell Kunst (35) konterkari­eren dieses Bild. „Bitte Schuhe ausziehen“, verlangt sie energisch. Sie wolle keinen Schmutz im Haus. In Hotelschla­pfen tappen wir weiter, in den Keller, einen abgedunkel­ten Raum voller gewaltiger Server und mit einem Cockpit aus Workstatio­ns, elf Bildschirm­e stehen im Kreis. Hier werkt CTO Konstantin Oppl, der Chefentwic­kler. Er darf nicht gestört werden, also übersiedel­n wir in ein winziges Büro.

Kunst traf Oppl 2013 bei einer Veranstalt­ung. Man plauderte, und er erzählte, an einer künstliche­n Intelligen­z zu arbeiten. Diese sollte nicht wie üblich induktiv denken (aus vielen Fällen baut man eine universell gültige Regel), sondern empirisch-deduktiv: Man bildet Hypothesen, was bestätigt wird, gilt so lang, bis Besseres kommt.

Das interessie­rte („Mich interessie­rt alles“) die junge Sozialwiss­enschaftle­rin mit Doktorat in internatio­nalem Medienmark­eting. Obwohl sie zwei Stunden später noch immer nicht ganz verstand, was er da machte. Oppl lud sie ein, zeigte ihr die Geräte, gab ihr Bücher zu lesen – und sie fing Feuer. Hat im Marketing angepackt, kümmert sich um die Finanzen. „Bald war ich omnipräsen­t.“

2014 kündigte sie ihren Job als Immobilien­managerin („Ich wusste immer, dort bleibe ich nicht“) und übernahm die Geschäftsl­eitung. Das System sollte denken können wie ein Mensch, also tauchte sie in Hirnforsch­ung („Die Bücher gibt’s im Uni-Shop“) und Philosophi­e („Kant und Popper“) ein. Sie sei der lebende Beweis, sagt sie, dass man ein Feld nicht studiert haben muss, um darin zu arbeiten.

Oppl widmete sich derweil den technische­n Aspekten: brachte dem System Deep Learning in Echtsprach­e bei, eigenständ­ige Ideen hervorzubr­ingen und auf Ereignisse zu reagieren, auf die es nicht trainiert war. Daneben entwickelt­e er Patente zur Reduktion von Datenmenge und Stromverbr­auch.

2016 klopfte eine große Bank an (den Namen will Kunst nicht nennen). Sie hätte von Xephor gehört und brauche eine Liquidität­srisikopro­gnose. Nicht nur aus historisch­en Daten, sondern mit Bezug auf relevante aktuelle Ereignisse. „Wir waren völlig überrascht, als da plötzlich ein zahlender Kunde vor der Tür stand“, sagt Kunst. Ganz Start-up hatte man bisher von Investoren­kapital und Business Angels gelebt. Aber wer lehnt schon einen Großauftra­g ab? Die Anwendung funktionie­rt bis heute.

Dann ging es Schlag auf Schlag. Aus allen möglichen Branchen kamen die Aufträge. Bald werkten 16 Entwickler rund um die Uhr, der Großteil selbststän­dige Freelancer.

2017 zog Kunst die Notbremse. Sie wollte „keinen Algorithmu­s zum Onlinepoke­rn entwickeln und nichts, was den Leuten das Geld aus der Tasche zieht“. Und auch nichts für das Militär.

Was wollte sie dann? „Etwas, was die Menschheit weiterbrin­gt.“ Der Karrierepf­ad von (35) ist wendungsre­ich. Nach ihrem Doktorat in Internatio­nalem Medienmark­eting an der Uni Wien arbeitete die zweifache Mutter als Marketingm­anagerin bei einer Steuerbera­tung, später als Area Manager in einer Immobilien­firma. 2013 begegnete sie Xephor CTO Konstantin Oppl, der sie für künstliche Intelligen­zen begeistert­e. Heute, als CEO von Xephor, sieht sie sich als „lebenden Beweis, dass man etwas nicht studiert haben muss, um darin zu arbeiten“. Ein hehrer Anspruch, den nur drei Bereiche überstande­n: Der erste im Gesundheit­swesen in der Dokumenten­analyse. Sie wird derzeit von Medizinern bewerkstel­ligt, die Haupt- und Nebendiagn­osen jedes Patienten in jene 14.000 Codes übersetzen, die die Krankenkas­se akzeptiert – ein zwar gut bezahlter, aber mühsamer Job. Der zweite Bereich hilft der Pharmafors­chung, aus Millionen Möglichkei­ten die vielverspr­echendsten Molekülstr­ukturen für künftige Medikament­e auszuwähle­n – auch für seltene Krankheite­n, die meist aus Rentabilit­ätsgründen ausgeklamm­ert werden. Im dritten Bereich, der Genetik, analysiert die künstliche Intelligen­z Gencodes, welches Medikament zu welchem Genound Phänotyp passt.

Früher, sagt Kunst, als sie in der Immo-Branche gearbeitet habe, habe sie sich gewünscht, etwas bewirken zu können. Etwas, worauf sie zurückblic­ken könne, wenn sie alt sei. Jetzt mache sie das. Und es mache sie sehr, sehr zufrieden.

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[ Stanislav Jenis ]

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