Die Bühne ist ein einsamer Ort
Film. „Bloodlight and Bami“zeigt Pop- und Modeikone Grace Jones ganz neu. Regisseurin Sophie Fiennes verfolgte sie ohne Skript über zehn Jahre und erklärt sie, ohne zu erklären.
Regisseurin Sophie Fiennes zeigt in „Bloodlight an Bami“Pop- und Modeikone Grace Jones ganz neu.
Ein herrlich verhatschter Reggaerhythmus schleppt sich irgendwo auf einer der großen Bühnen der Welt aus den Boxen. In ihn brummelt Grace Jones die Worte „I’ve got William’s blood in me“. Am Kopf trägt sie einen bizarren Hut, der an die Kopfbedeckung einer Nonne erinnert. Darunter nichts als einen schwarzen Body, aus dem ihre überlangen Beine rhythmisch wackeln. Nach der Meditation darüber, wessen Blutlinie sie eher repräsentiere, jene ihres Vaters, des strikten Predigers Robert W. Jones, oder jene ihrer sanftmütigen Mutter, Marjorie Williams, stimmt sie überraschend das Kirchenlied „Amazing Grace“an . . .
Diese Szene des Dokumentarfilms „Bloodlight and Bami“(jamaikanischer Slang für rotes Bühnenlicht und Maniokfladenbrot) zeigt, dass man frühen Prägungen nicht entfliehen kann. Später wird Grace Jones, Inbegriff internationalen Glamours, mit ihrer Mutter eine Pfingstgemeinde in Jamaika besuchen und über die Verzückung staunen, die ihre singende Mutter auslöst.
Regisseurin Sophie Fiennes, die Jones über zehn Jahre begleitet hat, decouvriert mit ihrer kommentarlosen Gegenüberstellung von mondänen Momenten und bäuerlichem jamaikanischem Alltag überraschend viel vom Wesen dieser Ikone der Popmusik. Jetzt versteht man, dass Jones’ Exzentrik von dieser ständig aufs Neue zu überbrückenden Kluft zwischen extremen Gegensätzen herrührt. Vom Dschungel in die urbane Avantgarde, immer wieder gilt es, die Erdigkeit in Glamour zu verwandeln.
Modell für Yves Saint-Laurent
Die junge Grace Jones rebellierte gegen die bibeltreuen Sermone ihres Vaters, suchte sich mit Eros, Bacchus und Dionysos andere Götter in den Metropolen New York und Paris. In den späten Sechzigerjahren kostete sie LSD, ehe sie von der New Yorker Agentur Wilhelmina auf die Pariser Laufstege geschickt wurde. Bald zierte sie die Titelseiten der Modegazetten, lief für Claude Montana und Yves Saint-Laurent. Fotografen wie Helmut Newton rissen sich um die androgyne, rätselhafte Schönheit. Wieder zurück in New York begann sie zu Beginn der Discoära zu singen, hatte mit „Sorry“, „La vie en rose“und „I Need a Man“gleich drei Smashhits. Sie tauchte intensiv ins Nachtleben ein, hing mit Andy Warhol ab. Nichts davon ist in Fiennes’ Film zu sehen. Einmal blitzt kurz ein Necessaire auf, auf das die Gesichter von Warhol und Jones appliziert wurden. Die einzige im Film gezeigte Aufnahme aus einer Disco ist aktuell. Dass sie stumm läuft, erhöht ihre Intensität beinahe ins Schmerzhafte.
Der Zuseher wird Zeuge intimer Familienszenen. Geschwister erzählen vom überstrengen Vater, die Mutter räumt Kreisel hervor, mit denen Grace Jones in ihrer Kindheit spielte. Im Gegenschnitt bedient Jones wieder ihr Image als Skandalnudel. Mit verzerrtem Gesicht sticht sie mit einem Messer in Austern und murmelt, dass sie auch gern so eine enge „pussy“hätte. In die Dreharbeiten fielen die Aufnahmen zu Jones’ grandiosem Comebackalbum „Hurricane“(2008). „I’m angry“, erklärt sie ihrem alten Bassisten Robbie Shakespeare, weil er zu einem Studiotermin nicht aufgetaucht ist. Dann wieder sieht man sie mit einem Fleischhändler auf einem jamaikanischen Dorfmarkt feilschen. Ihr strenges Gesicht setzt sie auf, wenn sie mit Leuten aus dem Musikbusiness zu tun hat. Sie sieht ihr Verhalten, vor allem auch ihren Stage Act, als unbewusste Übernahme des dominanten Gehabes ihres Vaters. „Am Ende bin ich wirklich er geworden“, staunt sie.
Zwischendurch tuscht sie in „Warm Leatherette“die großen Tschinellen zusammen, durchmisst die Bühne mit ihren elastischen Bewegungen. Am nächsten Morgen reflektiert sie ihre Rolle beim Champagnerfrühstück im Pariser Luxushotel: „Als Performerin nehme ich das Risiko auf mich. Fällt der Strom aus, bricht das Dach ein, kann ich immer noch performen. Wenn ich die Worte vergesse, erfinde ich mir neue. Aber eines ist die Bühne schon: ein sehr einsamer Ort.“Bei einem Fotoshooting trifft sie auf ihren Ex-Lebensgefährten, den Fotografen JeanPaul Goude, der ihr Image ursprünglich kreiert hat. Die beiden sprechen über die Liebe. „Sie macht dich klein“, sagt Jones und erinnert sich daran, dass Goude der einzige Mann war, bei dem sie weiche Knie bekommen hat. „Wie siehst du dich im Alter?“, fragt Goude. „Allein, aber nicht einsam.“