Was auf den Neuen in der zukommt
Wiener SPÖ. Auf den letzten Metern der Häupl-Nachfolge wurde es turbulent. Der Sieger am heutigen Samstag steht vor enormen Herausforderungen. Eine Bestandsaufnahme.
Die Wiener SPÖ sucht einen Parteivorsitzenden und Bürgermeister. Ein Überblick.
Es ist der Tag der Entscheidung. Am heutigen Samstag wählen 981 Delegierte der SPÖ Wien in der Messehalle den Nachfolger von Michael Häupl. Mit der Entscheidung zwischen Wohnbaustadtrat Michael Ludwig und dem SP-Klubchef im Parlament, Andreas Schieder, wird der seit etwa zwei Jahren erbittert geführte Flügelkampf in der wichtigsten roten Landes- partei entschieden. Zumindest vorerst. Ob nach der ersten Kampfabstimmung in der Geschichte der Wiener SPÖ wieder Friede einkehrt, ist mehr als fraglich. Zu verfeindet sind der linke, grün-affine SPÖ-Flügel unter Schieder und der Flügel der bevölkerungsreichen SPÖ-Flächenbezirke, die Michael Ludwig unterstützen. Hinter Ludwig versammelt sich auch die überwältigende Mehrheit der (am Parteitag stimmberechtigten) Gewerkschafter – was Grund für das intensive Gerücht sein dürfte, wonach Bundesparteichef Christian Kern inoffiziell mit einem Sieg Ludwigs rechnet. Dem Vernehmen nach soll Kern versucht haben, auf Ludwig einzuwirken, dass dieser als Bürgermeister Andreas Schieder in sein Team aufnimmt – als Finanzstadtrat.
Offiziell bestätigt hat Kern allerdings nur „Gespräche mit beiden Kandidaten“. Für den heutigen Parteitag erwarte er eine „lebhafte Diskussion“, sagte der SPÖ-Bundesparteichef: Es sei „schwer zu sagen, wer am Ende die Nase vorn hat“. Jedenfalls wurde die Stimmung zwischen beiden Lagern in den vergangenen Tagen nicht gerade verbessert, nachdem die Führung der Parteizentrale zuletzt immer offener Schützenhilfe für Schieder leistete. Und das zeigt das rote Hauptproblem auf: Die Versöhnung der Parteiflügel wird eine Herkulesaufgabe für den neuen Parteichef. Gelingt sie nicht, droht der Bürgermeisterpartei bei der Wien-Wahl 2020 ein Debakel; inklusive Verlust des Bürgermeisteramts. Damit hätte der Häupl-Nachfolger zwar den Parteitag gewonnen, wäre aber nur rund zwei Jahre im Amt gewesen – weswegen die Schieder-Ansage, er werde bei der Wien-Wahl 2020 wieder eine absolute Mehrheit für die Wiener SPÖ holen, (diplomatisch formuliert) sehr mutig ist. Wurde unter Rot-Grün im Jahr 2015 doch auch noch das stark mehrheitsfördernde Wahlrecht, das die SPÖ bevorzugte, geändert – weshalb die Bürgermeisterpartei heute massiv mehr Stimmen für eine absolute Mehrheit benötigt als früher.
Partei muss völlig reformiert werden
Will der neue Wiener SPÖ-Chef kein Christian-Kern-Schicksal erleiden, in diesem Fall als kürzest dienender Bürgermeister in die Geschichte der Stadt eingehen, muss er den träge gewordenen Parteiapparat der Wiener SPÖ völlig reformieren. Und das wird naturgemäß für Unruhe und Widerstände sorgen.
Wie schwierig diese Aufgabe ist, zeigt sich an einem Faktum: Michael Häupl hatte nach Verlusten bei der Wien-Wahl 2015 eine Parteireform angekündigt. Umgesetzt wurde sie nie – obwohl Häupl die Probleme immer wieder auf den Punkt brachte: Die Wiener SPÖ besitzt Organisationsstrukturen, die aus vergangenen Jahrzehnten stammen. Mitgliederzahlen, finanzielle Mittel und gesellschaftliche Realitäten hätten sich aber geändert – die Parteistrukturen seien nicht mehr zeitgemäß. Überlegt wurde beispielsweise, Sektionen bzw. Bezirksorganisationen zusammenzulegen, weil es für die notwendige Betreuung nicht mehr genügend Freiwillige gibt. Gegen diesen formellen Machtverlust gab es von Betroffenen aber derartige Widerstände, dass Häupls Parteireform sofort nach dem Start stecken blieb.
Eine der unangenehmsten Herausforderungen für den Häupl-Nachfolger ist ein Thema, das nicht nur Christian Kerns Wahlkampf zerstört hat (neben der Causa Silberstein), sondern den Flügelkampf in Wien eskalieren ließ, mit dem heute die Nachfolgefrage verknüpft ist: Welchen Kurs fährt man im Bereich der Zuwanderung? Eine strengere Linie, um Wähler von der FPÖ wieder zurückzuholen und ein weiteres Abwandern roter Wähler dorthin zu stoppen? Dafür steht Ludwig. Oder eine zuwanderungsfreundliche Linie, um sich als Gegenpol für Anti-FPÖ-Wähler zu positionieren – womit Wähler aus dem urban-liberalen Lager von Grünen, Neos und liberalem ÖVP-Flügel an die SPÖ gebunden werden. Dafür steht Schieder. Und die Delegierten beantworten diese Frage am heutigen Samstag.