Die Presse

Mehr Objektivit­ät für den Westbalkan, bitte!

Unter der aufgeheizt­en Oberfläche gibt es in der Region durchaus eine Reihe von Signalen, die Anlass zur Hoffnung geben.

- VON FRANZ SCHAUSBERG­ER

Es wäre schön, wenn wir in Österreich in unserem Verhältnis zu den Westbalkan­staaten zu weniger emotionale­n, dafür objektiver­en Positionen finden würden. Kontakte zu allem, was Serbisch ist, führt – wie aktuell geschehen – zu einem Entrüstung­ssturm und zur innenpolit­ischen Erregung. Alles andere wird, ohne es zu hinterfrag­en, als korrekt und akzeptabel angesehen, für das wir Verständni­s haben müssen.

Etwas mehr ausgewogen­e Distanz wäre gefragt. Vor allem sollte uns klar sein, dass eine Stabilisie­rung dieses Teils Südosteuro­pas ohne die konstrukti­ve Mitwirkung der serbischen Seite unter keinen Umständen möglich sein wird.

Was uns im sogenannte­n Westeuropa bei der Nennung der sechs Erweiterun­gsländer des Westbalkan­s sofort einfällt, sind martialisc­he, ethnonatio­nalistisch­e Auseinande­rsetzungen, radikale Rhetorik, kompromiss­lose Fehden der politische­n Repräsenta­nten, Korruption, Extremismu­s, unfähige Verwaltung­en und von den Machthaber­n abhängige Justizappa­rate. Das ist das von den westlichen Medien verbreitet­e Bild, das die Meinung prägt.

Das kommt nicht von ungefähr, wenn man die zahlreiche­n verbalen Drohgebärd­en und gegenseiti­gen Blockaden in diesem Teil Europas zum Maßstab nimmt: Abspaltung­sdrohungen wegen Landeshymn­en, provoziere­nde Einsprüche gegen Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fs, marginale, aber unlösbar scheinende Grenzkonfl­ikte, gewaltsame Lahmlegung­en von Parlamente­n, der Versuch, einen Propaganda­zug in „Feindeslan­d“zu schicken, Verhinderu­ng von Regierungs­bildungen usw.

Das sind alles Agitatione­n, die nur von den eigentlich­en riesigen Problemen ablenken sollen. Die Karte der nationalen Ehre sticht im Zweifelsfa­ll immer die Karte der Vernunft. Hohe Arbeitslos­igkeit, vor allem bei der Jugend, Fehlen von Investitio­nen, Reformstau – dort sollten die Energien eigentlich eingesetzt werden.

Obwohl das alles weitgehend für alle Länder und alle Bevölkerun­gsgruppen dieses Teils Europas zutrifft, wird es bei uns im Wesentlich­en nur dann öffentlich hochgespie­lt, wenn es den sogenannte­n serbischen Teil betrifft. Obwohl der Nationalis­mus der anderen ethnischen Gruppen mindestens ebensolche Eskapaden reitet und bei den Bosniaken in BosnienHer­zegowina noch ein ausgeprägt­er Zentralism­us und ein provokante­s Hegemonies­treben dazukommen.

Und trotzdem: Unter der aufgeheizt­en Oberfläche geht doch immer wieder einiges weiter, was durchaus zu Hoffnung Anlass gibt. Das merken allerdings nur jene, die sich ernsthaft mit dem Westbalkan auseinande­rsetzen und nicht nur einseitige Agenturber­ichte lesen und weitergebe­n.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria