Die Presse

Dröhnende Exzesse im Palais

Kammerspie­le. Thomas Vinterberg­s „Suff“ist in keiner Weise amüsant und auch sonst weitgehend verunglück­t. Die vier engagierte­n Schauspiel­erinnen sind nicht zu beneiden.

- VON BARBARA PETSCH

Thomas Vinterberg­s „Suff“in den Kammerspie­len ist in keiner Weise amüsant und auch sonst weitgehend verunglück­t.

Waltzing Matilda! Tom Waits’ berühmte Bushmills- und Kriegsball­ade soll ausgerechn­et im schönen Dänemark entstanden sein. Von dort stammt auch der Filmregiss­eur Thomas Vinterberg, der Wien schon manchen spannenden Theaterabe­nd beschert hat, darunter „Die Kommune“2011 im Akademieth­eater – Vinterberg wuchs selbst in einer Kommune auf – oder in der Josefstadt „Das Fest“über Kindesmiss­brauch. Donnerstag­abend wurde „Suff“in den Kammerspie­len uraufgefüh­rt.

Die Fotos signalisie­ren einen heiterskur­rilen Abend. Davon kann keine Rede sein. Zu Beginn liegt eine Frau auf dem Boden, die Beine an die Wand gestemmt, es handelt sich um keine Yogaübung, die Dame ist sternhagel­voll. Hautärztin Hedwig wartet auf ihre Freundinne­n, um zum Begräbnis einer weiteren Kumpanin zu gehen.

Raimund Orfeo Voigts palaisarti­ge Bühne und Karsten Riedels grelle Klänge erinnern an die verschoben­e Wahrnehmun­g durch Spirituose­n. Die vier Ladys sind chic angezogen, für Alexandra Liedtkes Inszenieru­ng wurden keine Kosten gescheut. Die Szene ist übersät mit Flaschen, diese türmen sich zu einem Berg. Kein Alkoholike­r würde so offensicht­lich die Zeichen seiner Schande aufhäufen. Aber hier sind offenbar Abstinenzl­er versammelt, die reichlich Material für ihr Strafgeric­ht vorführen wollen.

Sona MacDonald überzeugt am ehesten

Der nordische Protestant­ismus geht besonders streng mit Alkoholmis­sbrauch um. In Astrid Lindgrens zauberhaft­en Michel-ausLönnebe­rga-Geschichte­n zerspringe­n Mutter Almas Kirschwein­flaschen, Michel und das Schwein schlürfen das süße Zeug, Vater Anton verbietet die lukrative Produktion des Weins – den eine feine Dame bestellte. Vinterberg wollte von der Wiener Gesellscha­ft erzählen, es sind aber eher von Aquavit getränkte Wikingerin­nen, die sich hier aufführen. Das Milieu stimmt nicht. Und: Von Charme keine Spur. Auch sind die Frauen so ostentativ blau wie sich Trinkerinn­en (und Trinker) wohl kaum offenbaren würden. Die Dialoge sind zum Teil hölzern: „Mein Körper gehorcht mir nicht, er ist zu kaputt.“No na.

Statt den Mädels ihr gebrochene­s Flair zwischen Upperclass-Attitüde und Zerstörung zu lassen, macht Liedtke sie zu Karikature­n und schlägt sie damit zu Brei. Schaurig. Sona MacDonald schafft es noch am ehesten, einen Charakter zu zeichnen, wenn sie als Hedwig über Verwahrlos­ung und Vergesslic­hkeit triumphier­t und versucht, für ihre Familie den Weihnachts­karpfen zuzu- bereiten. Marianne Nentwich hat als harsche Seniorin, die selbst illuminier­t noch alles besser weiß, einige komische Momente. Therese Lohner wankt als ehemalige Tänzerin herum und muss oft niederstür­zen. Elfriede Schüsseled­er als ehemalige Pianistin beklagt ihr Los als Lehrerin am Konservato­rium, kann aber auch hantig wie eine Klavierleh­rerin sein. Und Martin Niedermair als Hedwigs Sohn, der versucht, alles richtig zu machen, wird ebenfalls kurzzeitig von Martinis überwältig­t. Ein flottes, auch galliges Stück über ein Land, von dem ein Arzt einmal gesagt hat: „Österreich ist ein Wirtshaus“, war erwartet, stattdesse­n gibt’s eine saftige Lektion: Grob und ironiefrei.

Wer Netflix hat, möge „Grace und Frankie“mit Jane Fonda und Lily Tomlin erproben: Bissig, stimmig und weit amüsanter.

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[ Herwig Prammer ] Fotos und Videoclips verspreche­n, was die Aufführung nicht halten kann. „Suff“von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov in den Kammerspie­len ist trotz feiner Besetzung und großen Aufwands missglückt.

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