Eine Berliner Koalition wäre trotz allem nicht besser
Auch wenn die Rechtsregierung in Wien stottert, das, was da in Berlin an den Start geht, hat sich weder Angela Merkel noch Deutschland verdient.
D ie Frage wurde nach längerer Debatte von einem hochrangigen Mitglied der türkisen Neigungsgruppe Sebastian Kurz formuliert: „Sind wir nun etwa verantwortlich für die FPÖ?“Es ging um den Skandal um den niederösterreichischen FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer und antisemitische, NS-verherrlichende Passagen in einem Liederbuch seiner Burschenschaft. Zuvor hatte sich die Diskussion um die Frage der Betroffenheit des neuen Kanzlers von derartigen Vorkommnissen gedreht, deren eine mit dem Rücktritt des Wr. Neustädter FPÖ-Politikers vorerst ein begrüßenswertes Ende gefunden hat.
Seit wann hafte ein Kanzler für Taten in der Partei des Koalitionspartners? Tut er nicht, aber Patzer oder wie im konkreten Fall braune Flecken fallen auf Partei, Regierung und damit indirekt auf deren Chef zurück. Stimmt schon, keiner hätte Werner Faymann für Ausrutscher etwa des Außenministers Kurz verantwortlich gemacht. Aber der Blick auf die türkis-blaue Regierung hat einige Besonderheiten, die gegenseitige Wirkungsweise anspruchsvoller macht als die der War-der-Ruf-erst-einmal-ruiniert-Koalition aus SPÖ und ÖVP.
Erstens ist Türkis-Blau Opfer der eigenen Inszenierung: Um nur ja keinen Anschein von Streit wie früher aufkommen zu lassen, stellen sich beide Regierungsteams bei jeder Gelegenheit als gut aufgestellte, harmonische, moderne Trachtenformation dar. Das erhöht automatisch die gegenseitige Abhängigkeit. Zweitens steht eine Rechtsregierung mit Beteiligung einer rechtspopulistischen Partei mit dem entsprechenden Rechts-außen-Netzwerk mehr unter Beobachtung als eine Regierung in der breiten Mitte. Drittens lässt sich die Erinnerung an die schwarz-blaue Regierung unter Wolfgang Schüssel nicht abstreifen, auch wenn das nicht gerecht ist. Schüssel ließ trotz ausverhandelten Abkommens die Neuauflage von Rot-Schwarz platzen, um sich von der FPÖ von Platz drei aus zum Kanzler wählen zu lassen.
Das ist der Unterschied, den viele Beobachter vergessen: Diese erste Alternative gab es für Kurz de facto nicht, weder wollte Christian Kern noch wollten die Sozialdemokraten den Juniorpartner geben. (Auch Kurz selbst und mit ihm die Bevölkerungsmehrheit fürchteten eine Große- Koalition-Verlängerung.) Daher wird sich Kurz weiter mehr der Gesamtverantwortung stellen müssen als seine roten Vorgänger gegenüber der stets widerspenstigen ÖVP. Damit hadert die Regierung: Die Mehrheit der Journalisten und Medien steht in der Mitte und weiter links der türkis-blauen Koalition mindestens ebenso kritisch bis misstrauisch gegenüber wie der alten rot-schwarzen Regierung genervt und gelangweilt. Das ist vielleicht nicht fair, aber Realität. Kurz
hatte wie beschrieben ähnlich wenige Alternativen wie Angela Merkel in Deutschland: Nach der Absage der FDP gibt es nur noch eine im Vergleich zur SPÖ regierungsunwilligere SPD, die nun inhaltlich mehr einfordert und wohl bekommt, als ihr aufgrund der Größenverhältnisse zustehen würde. Dem künftigen kleinen Koalitionspartner unter ihrem angeschlagenen Chef, Martin Schulz, wird das bei den eigenen Anhängern dennoch weniger bringen, als es Merkel bei ihren Wählern schadet: Um eine Regierung zustande zu bringen, rückt das Land wirtschaftspolitisch nach links – und zurück. Der finanziell im europäischen Vergleich üppig aufgestellte Staatshaushalt wird für weitere Sozialausgaben, etwa im Pflegebereich, angezapft werden, mögliche breite Steuersenkungen, die die einmalig gute Konjunktur weiter befeuern könnten, wird es nicht geben, stattdessen stellt Berlin einen noch größeren Anteil an der durch den Brexit schwindenden EU-Finanzierung in Aussicht. Wie faul viele der mühseligen Kompromisse sind, lässt sich an einem peinlichen Phänomen ablesen: Nach jeder Einigung in einem Kapitel klingt die Interpretation desselben von Vertretern der SPD und der CDU konträr. Ein großer Wurf kann das nicht werden.
Die großkoalitionäre Verösterreicherung Deutschlands schreitet voran. Damit werden automatisch die Wahlchancen der Rechts- und Linkspopulisten besser. Das macht Regieren in Zukunft – siehe Österreich – nicht leichter.
Anders formuliert: Wir erleben nicht gerade die Hochzeiten des europäischen demokratischen Parteiensystems.