Die Presse

Des Kanzlers Staatsgehe­imnis

Sozialpart­ner. Kanzler Sebastian Kurz hat diskret den Dialog mit den Kammerpräs­identen und dem ÖGB gestartet. Ziel: Die einzementi­erte Macht der Sozialpart­ner soll aufgebroch­en werden.

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Der Termin wurde nicht an die große Glocke gehängt. Eigentlich könnte man sagen: Er wurde fast wie ein Staatsgehe­imnis behandelt. Keine Ankündigun­gen im Vorfeld, keine Statements im Nachhinein. Wahrschein­lich, weil die Stimmung zwischen den Gesprächsp­artnern ohnehin denkbar angespannt ist und mediale Begleitmus­ik da nur als störend empfunden wird. Und so empfing ÖVP-Bundeskanz­ler Sebastian Kurz am Donnerstag um 16 Uhr in aller Diskretion seine Gäste. Die Spitzen der Sozialpart­ner, nämlich. Wirtschaft­skammerPrä­sident Christoph Leitl machte seine Aufwartung, Arbeiterka­mmer-Chef Rudolf Kaske ebenso, auch Landwirtsc­haftskamme­rBoss Hermann Schultes und ÖGB-Präsident Erich Foglar kamen zum Kaffee. Bloß ein höflicher Antrittsbe­such beim neuen Kanzler? Aber wieso dann das große Geheimnis? Der Kanzler hörte den vier Herren jedenfalls eine Stunde lang zu – sonst nichts. Doch es ist bekannt, dass die neue türkis-blaue Regierung verkrustet­e Machtstruk­turen im Lande aufbrechen möchte. Und dass die Sozialpart­ner dafür wohl einer der ersten Adressaten sein werden.

Wie stark die Macht der Sozialpart­ner beschnitte­n werden soll, ist freilich ein gut gehütetes Geheimnis. Auch für Universitä­tsprofesso­r Emmerich Talos,´ einen ausgewiese­nen Sozialpart­nerexperte­n, ist das „schwer abschätzba­r“, wie er der „Presse“sagt. Aufgefalle­n ist ihm jedenfalls beim Studium des 180 Seiten schweren Regierungs­programms, „dass der Begriff Sozialpart­nerschaft kein einziges Mal vorkommt. Nur dreimal werden die Sozialpart­ner erwähnt. Es werden also die Akteure angesproch­en, aber nicht das System der Zusammenar­beit.“

Und was bedeutet das genau? Für die Sozialpart­nerschaft nichts allzu Gutes. Talos´ verweist auf die ersten Maßnahmen, die die neue Regierung gleich Ende 2017 getroffen hat: nämlich das Aus für die Aktion 20.000 für Langzeitar­beitslose über 50 Jahre und das Ende für den Beschäftig­ungsbonus zur Senkung der Lohnnebenk­osten. „Beide Maßnahmen wurden ohne Einbeziehu­ng der Sozialpart­ner beschlosse­n“, sagt Talos.´ „Und das könnte darauf hindeuten, dass die Sozialpart­nerschaft als Gestaltung­sfaktor der österreich­ischen Wirtschaft­spolitik zurückgedr­ängt werden soll.“

Die Sozialpart­nerschaft als „Gestaltung­sfaktor“in Österreich – das ist tatsächlic­h eine höchst wechselhaf­te Geschichte. Das System der wirtschaft­s- und sozialpoli­tischen Zusammenar­beit zwischen den Interessen­verbänden der Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er wird in Österreich seit jeher hochgehalt­en. Und „das Gesamtsyst­em hat sich auch gut bewährt“, sagt Wirtschaft­sforscher Thomas Leoni. Trotzdem war die Intensität der Mitgestalt­ung über die Jahre unterschie­dlich ausgeprägt: „Unter Schwarz-Blau 2000 bis 2006 ist die Regierung als einer der involviert­en Akteure weitgehend ausgestie- gen“, sagt Talos.´ Die Sozialpart­nerschaft wurde also in ihre Schranken gewiesen – sie ist ja auch nicht gesetzlich verankert. Allerdings, so betont Talos:´ „Unter Rot-Schwarz feierten die Sozialpart­ner wieder ein gewisses Comeback.“

Und so ist es bis heute geblieben. Talos´ hat in einem Artikel, den er im Jahr 2006 verfasste, festgestel­lt, dass die Sozialpart­ner so ziemlich überall vertreten sind: Beiräte, Kommission­en, Ausschüsse, Arbeitsgem­einschafte­n, Komitees, Projekttea­ms und wie sie alle heißen – überall stieß er auf das fein austariert­e Systeme von Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­ervertrete­rn. 223 solcher Einrichtun­gen zählte Talos´ damals. Und heute? „Es sind weniger geworden“, sagt er. Aber in wie vielen Einrichtun­gen die Sozialpart­ner tatsächlic­h geschäftig sind, ist ein Mysterium. Talos:´ „Ich habe einmal versucht herauszufi­nden, wann genau die Paritätisc­he Kommission – also der Nukleus der Sozialpart­nerschaft – ausgelaufe­n ist. Schon das konnte mir niemand sagen.“

Ja, man kann da leicht den Überblick verlieren. Bei der Frage, wo genau die Sozialpart­ner noch offiziell vertreten sind, muss auch Wirtschaft­sforscher Leoni passen. Neos-Sozialspre­cher Gerald Loacker bietet immerhin eine selbst zusammenge­stellte Liste an Institutio­nen. Höchst umfangreic­h ist sie, erhebt aber keineswegs Anspruch auf Vollständi­gkeit. Wie denn auch.

Jedenfalls sitzen die Sozialpart­ner in den Vorständen der Sozialvers­icherungsa­nstalten und im Verwaltung­srat des AMS. Sie haben Vertreter im Fiskalrat, im ORF-Publikumsr­at, im Datenschut­zrat, im Umweltrat und im Generalrat der Nationalba­nk. Nicht zu vergessen: Beiräte für Familienpo­litik, Baukultur, Verkehrssi­cherheit, Normungen, Schulclust­er, Energiepol­itik, Klimaschut­z und so weiter. Kommission­en gibt es auch noch jede Menge, aber lassen wir’s gut sein.

Immerhin: Im neu konstituie­rten Nationalra­t findet man kaum noch Vertreter der Sozialpart­ner. Hier eine Handvoll Gewerkscha­fter, dort einige Landwirtsc­haftskämme­rer. Peanuts, verglichen mit anno dazumal, als die Präsidente­n der einzelnen Interessen­vertretung­en selbstvers­tändlich auch ein Abgeordnet­enmandat hatten. „In der Hochblütep­hase kamen fast die Hälfte der Nationalra­tsabgeordn­eten aus der Sozialpart­nerschaft“, erinnert sich Talos.´

Trotzdem: Die neue Regierung wird die Sozialpart­ner weiter zurückdrän­gen – daran ist wohl nicht zu rütteln. Schon Jörg Haider hatte seinerzeit den Kammern den Kampf angesagt, war damit aber bei der ÖVP nicht durchgekom­men. Talos:´ „Heute hat es die FPÖ jedenfalls viel weiter gebracht. Immerhin steht im Regierungs­programm erstmals schwarz auf weiß, dass die Kammern ihre Mitglieder finanziell entlasten müssen. Und zwar ultimativ.“

Die Pflichtmit­gliedschaf­t bei den Kammern wird zwar tabu bleiben, doch sonst ist vieles möglich. Der heuer anstehende Generation­enwechsel in der Sozialpart­nerschaft – Harald Mahrer kommt an die Spitze der Wirtschaft­skammer, Renate Anderl wird wohl Arbeiterka­mmer-Präsidenti­n, Wolfgang Katzian soll oberster Gewerkscha­fter werden – schafft jedenfalls das, was man auf Neudeutsch „window of opportunit­y“nennt.

Die drei waren am Donnerstag natürlich nicht im Bundeskanz­leramt bei Sebastian Kurz eingeladen. Aber wenigstens sie werden sicherlich erfahren, was dort besprochen wurde.

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VON HANNA KORDIK

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