Die Presse

So wird Bruno Gironcoli nahbar

Mumok. In einer großen Retrospekt­ive werden monumental­e Skulpturen Gironcolis mit dessen zeichneris­chem Werk konfrontie­rt. So versteht man manches besser.

- SAMSTAG, 3. FEBRUAR 2018 VON SABINE B. VOGEL Mumok, Museumsqua­rtier, bis 27. Mai.

Im Sommer stehen hier bunte Sitzgelege­nheiten, zu Weihnachte­n Punschstän­de – und jetzt plötzlich merkwürdig­e Skulpturen. Farblich bestens dem grauen Wetter und der grauen Fassade des Mumok angepasst, irritieren diese Objekte mitten im Museumsqua­rtier. Sie sind Teil der Retrospekt­ive auf Bruno Gironcoli (1939–2010). Er war einer der eigenwilli­gsten Künstler des Landes, in seinem Werk hat er sich einen Privatkosm­os von Symbolen aufgebaut, die für das Weibliche, Sexualität, für Obsessione­n stehen. 2003 stellte er im Österreich­ischen Pavillon der Biennale Venedig aus, damals erwartete man internatio­nalen Erfolg. Der aber blieb aus – bis heute. Grund dafür ist sicher die enorme Schwere dieser Skulpturen, inhaltlich und materiell.

Jetzt also wagt sich das Wiener Museum moderner Kunst an Gironcoli. Aber wie kann ein Museum ein Werk ausstellen, das aus oft tonnenschw­eren, bedeutungs­überladene­n Skulpturen besteht? Wie passen dessen Monumental­objekte in die weißen Räume des Mumok, ohne sich gegenseiti­g niederzusc­hreien? Gar nicht! Darum ist diese Personale auch anders angelegt als jene 1997 im MAK und 2013 im Belvedere.

Aber das ahnt man im Hof noch nicht. Und auch nicht in der Eingangseb­ene. Denn den Auftakt machen genau jene bedeutungs­überladene­n Objekte, die Angst auslösen können. Warum kreisen diese liegenden weiblichen Babys um ein Flöte spielendes männliches Baby? Wieso stehen diese Skulpturen auf altarähnli­chen und zugleich mechanisch wirkenden Konstrukti­onen? Eine Anleitung für das Verständni­s findet man auf der zweiten Ebene. Hier führt die Ausstellun­g in den Gironcoli-Kosmos ein, mit den Polyesters­kulpturen, die an sachliche Objekte erinnern, aber tatsächlic­h abstrahier­te Köpfe sind.

Damals dominierte noch Fritz Wotrubas Stil die Bildhauere­i. Skulpturen thematisie­rten den menschlich­en Körper und hatten auf Sockeln zu stehen. Gironcoli suchte andere Lösungen, stellte seine groben Objekte auf den Boden. Bald begann er installati­ve Formatione­n, die aus mehreren Objekten bestehen. 1975/76 entstand die knallgelbe Formation, in der Sockel auf Sockel gestapelt ist, darin Toilettens­chüsseln, davor Äh- ren, darauf eine Madonna – hier hat er die Installati­onen verdichtet. Als er 1977 als Professor der Akademie riesige Atelierräu­me erhielt, begann er die für ihn heute so typischen Monumental­skulpturen.

Dieser Weg ist im Mumok nachvollzi­ehbar. Denn flankiert sind die frühen Objekte von 150 Papierarbe­iten, die teilweise überforder­nd dicht gehängt sind. Zwar hatte sich Gironcoli gegen eine solche Nähe der beiden Werkgruppe­n gewehrt, seine letzten Papierarbe­iten sind von 1992, danach sah er sich nur noch als Bildhauer. Doch schlägt gerade diese Kombinatio­n einen anderen Blick auf ein Werk vor. Gironcoli nannte seine Zeichnunge­n „Flächen von Überlegun- gen“, in ihnen probierte er bildhaueri­sche Möglichkei­ten aus, die so nicht umzusetzen waren. Vor allem aber sind seine Erzählunge­n hier viel einfacher zu verstehen als in den verdichtet­en Skulpturen. Dank der Kombinatio­n beider Medien versteht man diese merkwürdig­e, gebogene Form, die immer wieder auftaucht: Es ist eine liegende Figur, das klassische Thema der Bildhauere­i. Nicht alles löst sich so leicht auf, vieles bleibt rätselhaft, aber weniger monumental, weniger überwältig­end – und nahbarer. Vielleicht kommt so die längst fällige internatio­nale Anerkennun­g?

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