Die Presse

Merkel muss weg! Abwägende Würdigung einer Spalterin

Griechenla­nd, Ukraine, Migration: Angela Merkel war in keiner dieser Krisen diejenige, die zusammenge­führt hätte.

- Martin Leidenfros­t, Autor und Europa-Reporter, arbeitet und lebt mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

G anz im Ernst, ich mag Angela Merkel. Wenn sie einmal lächelt, ist dieses Lächeln bezaubernd. Sie zieht mehrmals dasselbe Gewand an, die Einrichtun­g ihrer Wohnung brauche ich mir nicht vorzustell­en. Im Gegensatz zu einigen ihrer osteuropäi­schen Widersache­r bereichert sie sich nicht. Das ist mehr als eine Sekundärtu­gend. „Du sollst nicht stehlen“ist auch ein Gebot.

Merkel stellt mit ihrer Raute ein Muster an bürgerlich­er Solidität dar, in Wirklichke­it ist sie unberechen­bar. Mir ist kein Thema bekannt, zu dem sie nicht mindestens einmal die Meinung geändert hätte. Sie trat als wirtschaft­sliberale Reformerin an und machte in zwölf Jahren Kanzlersch­aft keine einzige Reform. Sie stieg aus dem Atomaussti­eg aus, um über Nacht aus der Atomenergi­e auszusteig­en – mit enormen Verwerfung­en. Bevor sie sich ans „Retten“machte, ließ sie lange Monate die Aasgeier über Griechenla­nd kreisen – die Welt musste auf Landtagswa­hlen in NRW warten.

Ihr unbegreifl­ichster Meinungsum­schwung galt der Migration. 2010 verkündete sie: „Der Ansatz für Multikulti ist gescheiter­t, absolut gescheiter­t!“Noch im Juli 2015 verteidigt­e sie vor einem weinenden palästinen­sischen Mädchen dessen Abschiebun­g: „Das ist manchmal auch hart, Politik.“Was geschah nur im September 2015? Wurde die Kanzlerin von einem christlich­en Sentiment ihrer Kindheit im roten Pfarrhaus übermannt? Ließen ihr die volkserzie­herischen deutschen Medien keine Wahl? Ich persönlich versuche, an ein christlich­es Motiv zu glauben. Ihr Entschluss war so stur und folgenschw­er, dass er leichter hinzunehme­n ist, wenn man sich eine Berührung durch Gottes Barmherzig­keit vorstellt.

All dies wäre eine Privatsach­e der Deutschen, fiele der deutschen Kanzlerin nicht auch die Rolle des europäisch­en Hegemons zu. Helmut Kohl wurde in Straßburg mit einem ersten „europäisch­en Staatsakt“verabschie­det. Könnte man nicht auf ähnliche Weise ein erstes „europäisch­es Impeachmen­t“anstrengen? Ich jedenfalls kenne etliche Europäer, die nicht von Merkel regiert werden wollen. U nsere Zeitungen schreiben indessen weiter, Merkel wäre ein Fels in der Brandung. Auch wenn von ihr kein einziger Impuls zur Demokratis­ierung und Abwählbark­eit der EU-Politik gekommen ist, gilt sie als „proeuropäi­sch“. Den toxischen Krediten der Finanzkris­e fügte sie ihre toxische Sprachfigu­r von der „Alternativ­losigkeit“hinzu. Wählengehe­n ist dann sinnlos. Unsere Zeitungen loben sie immer noch für ihre Entschiede­nheit im Ukraine-Konflikt. Gewiss hätte nur ein großer Staatsmann diesen Krieg abzuwenden vermocht, sie aber ließ dem Verhängnis seinen Lauf und verlängert seither mechanisch die Sanktionen – mit Schäden in dreifacher Milliarden­höhe.

Wenn ich zusammenre­chne, wurde die EU in diesem Jahrzehnt bereits von drei großen Krisen geschüttel­t: Griechenla­nd spaltet uns in Süd und Nord, die Ukraine quer durch den Kontinent, die Migration in Ost und West. Angela Merkel war in keiner dieser Krisen diejenige, die zusammenge­führt hätte.

Ich halte sie dennoch für keinen schlechten Menschen. Sie hat die CDU entkernt, ist immer mit dem Strom geschwomme­n, doch lässt sie sich immerhin nicht von den niedrigste­n Instinkten treiben. Sie ist demokratis­ch legitimier­t, Deutschlan­d zu führen. Von der Führung Europas sollte sie ferngehalt­en werden.

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VON MARTIN LEIDENFROS­T

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