Die Bombe im Liedergut: Der antizipierte Skandal
Ehe politische Abenteurer rote Linien überschreiten, sollten sie Zeitungen lesen. Journalisten haben feine Nasen für Schwefeldämpfe.
Manchmal wundere ich mich, dass „Die Presse“vor einer mittelschweren Katastrophe in Staat, Wirtschaft oder Politik das voraussagt, was kurz darauf planmäßig eintritt. Es kümmert sich leider niemand darum. Nehmen wir das peinliche und für Österreich rufschädigende Schlamassel der zweiten Regierungspartei FPÖ.
Rund zehn Tage bevor ein rein antisemitisches Lied im Liedergut der Mittelschulverbindung Germania auffliegt, rechnet der Leiter der „Presse“-Außenpolitik bereits zwei oder drei kleinere Affären von FP-Politikern zusammen und warnt eindringlich vor dem Schneebrett in Form einer in der Partei noch immer nicht bewältigten NS-Vergangenheit: „Die FPÖ ist international im Brennglas. Von ihr hängt nun Österreichs Ansehen ab. Das haben manche noch nicht begriffen.“(14. 1.)
Was sonst noch im Leitartikel der „Presse am Sonntag“folgt, gleicht einem Drehbuch dessen, was sich alsbald und scheinbar schicksalhaft ereignete, ohne dass der Autor Kenntnis vom Liederbuch hatte. Manchmal lohnt es sich also, in der Zeitung zurückzublättern. Als dann die GermaniaAffäre publik wird, enthüllt sie, dass unter der Tarnung des studentischen Narrenzugs der Frei- heitlichen die schlimmsten NaziGräuel verherrlicht werden. „Es geht nicht mehr um Wahlkampfgaudi, sondern um den Ruf Österreichs. Vom Verhalten freiheitlicher Politiker hängt nun das Ansehen des Landes ab. Ob sich Vizekanzler Heinz-Christian Strache und seine Gefolgsleute dieser Verantwortung bewusst sind, muss bezweifelt werden. Wenn sich die Eklats häufen, wird Kanzler Sebastian Kurz nicht mehr lange schweigend darüber hinweggehen können. Denn sonst wird auch er in den Sumpf gezogen.“
Jetzt ist es genau so geschehen. Zum Unterschied vom verstorbenen Exbundespräsidenten Kurt Waldheim sind FPÖ-Politiker dank ihrer ideologischen Nachwuchstruppen in den Burschenschaften in törichter Blindheit hart an der NS-Wiederbetätigung vorbei gegen eine weltweite Mauer der Ablehnung gerannt. Man greift sich an den Kopf und fragt: Wer hat etwas davon?
*** „Die Presse“hat über den Skandal ausführlich berichtet. Eine Komponente wäre noch näherer Analyse wert: Dass Bundespräsident Van der Bellen ohne viel Aufhebens durch seine Stellungnahmen seinen Operationsradius als Staatsoberhaupt erheblich erweiterte. Seine Äußerungen zum Liederbuch und den beteiligten