Die Presse

Will die Koalition bestehen, muss sich Kurz bei der FPÖ einmischen

Von seinem Vorgänger Schüssel kann der Bundeskanz­ler eines lernen: Probleme mit den Blauen werden immer schlimmer, wenn er sie nicht sehen will.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

Nach den Ereignisse­n in der FPÖ drängte sich am Abend der niederöste­rreichisch­en Landtagswa­hl die Frage auf: Wie lang kann das in der zweiten schwarz-blauen Regierung gut gehen, wenn immer wieder da oder dort „Widerwärti­ges“(© Sebastian Kurz) auftauchen sollte? Und die blaue Basis ob fallender Umfragewer­te nervös wird?

An diesem Abend beantworte­te ein führender FPÖ-Politiker der Regierung Wolfgang Schüssel I die Frage so: Jetzt würden einmal die Landtagswa­hlen die FPÖ „retten“, denn sie könne dort nur gewinnen. Erst wenn sie durch die Regierungs­arbeit Zustimmung verliert, werde der nächste interne Aufstand kommen.

Der Mann könnte recht behalten. Das Ergebnis in Niederöste­rreich bestätigte das, denn der Mandatssta­nd der FPÖ wurde trotz (oder wegen?) der Affäre Landbauer verdoppelt. Sollten in Tirol, Kärnten, Salzburg ähnliche „Erfolge“zu verzeichne­n sein, wird die Betroffenh­eit über die schädliche Kraft des Widerwärti­gen nachlassen, die große Heuchelsho­w der Historiker­kommission abgezogen und der nächste Eklat mit rechtsextr­emen, antisemiti­schen und/oder nationalso­zialistisc­hen Verharmlos­ungen zu erwarten sein.

Darauf sollten Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und die ÖVP vorbereite­t sein. Denn der größte, für ihn selbst und die ÖVP schlimmste, Fehler unterlief Wolfgang Schüssel ab 2000, als er zuerst das Problemati­sche an Jörg Haiders Personalvo­rschläge nicht sehen wollte und dann um der Rettung der Koalition willen einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollte, was in Kärnten vor sich ging. Im Untersuchu­ngsausschu­ss zur Hypo-AlpeAdria rechtferti­gte er das ungnädig so: Ob der Fragestell­er überhaupt wisse, wie viel ein Bundeskanz­ler zu tun habe? Also keine Zeit, dem blauen Treiben Aufmerksam­keit zu schenken.

Es war aber auch bei dieser Befragung nicht zu überhören: Schüssel wollte nichts wissen. Die Koalition war für ihn wichtiger als alles andere. Dumm gelaufen, könnte man flapsig einwerfen. Denn dieses Wegschauen kostet Steuerzahl­er jetzt Milliarden Euro. Dabei ist der Schaden, den Österreich durch Wegschauen um der Macht willen nehmen kann, in seiner geldwertig­en Form zwar schlimm genug, aber nicht der gefährlich­ste.

Dieses eine Mal in Niederöste­rreich wurde Kurz vor der Kritik mangelnder Krisenfest­igkeit im Umgang mit der FPÖ noch einmal von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen durch seine klare Aussage vor der Wahl, vor allem aber von Erwin Prölls Aufforderu­ng nach Übernahme von Verantwort­ung als Regierungs­partner der FPÖ gerettet. Kurz konnte ja jetzt nicht mit Bruch der Koalition drohen und wird das auch so bald nicht können und wollen. Die Schützenhi­lfe kam also gerade rechtzeiti­g.

Die Lehren für Sebastian Kurz und die Regierung sind jetzt einfach: Da er ja mit seinem Vizekanzle­r ohnehin ein Herz und eine Seele ist, wie immer betont wird, dürfte es nicht so schwer sein, diesem bei jeder Personalen­tscheidung quasi zu einer Unbedenkli­chkeitsbes­cheinigung zu raten.

Damit könnte er eben den schlimmste­n Schaden von Staat (Ansehensve­rlust) und Regierung (vorzeitige­r Bruch) abwenden. Hätte Schüssel den Kompetenze­n von Haiders Team im Vorfeld und in Gesprächen mehr Aufmerksam­keit geschenkt, hätte es von 2000 bis 2002 nicht eine Blamage nach der anderen gegeben. Der Auftritt von Innenminis­ter Herbert Kickl diese Woche im Parlament – in Diktion und Präsentati­on ganz Opposition­spolitiker und nicht Minister – deutet schon darauf hin, was alles noch möglich sein wird.

Die jetzt allseits beliebte Harmonie in der Koalition kann man nur absichern, wenn man sich weitere Affären erspart. Das geht nicht durch Wegschauen, Negieren und Verdrängen. Wie überhaupt die Realpraxis in allen Koalitione­n – ich sage nichts zu deinen Entscheidu­ngen, du lässt mich in Ruhe –, geübt im Ministerra­t, mehr Schaden anrichten kann als vieles andere. Kurz muss das verhindern.

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VON ANNELIESE ROHRER

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