Die Presse

Die „polare Katastroph­e“verhindern

Wie bleibt die Oberfläche eines Kristalls stabil?

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Kristalle, aus denen sich etwa Metalle oder Kochsalz zusammense­tzen, sind bemerkensw­ert stabile Strukturen. Ihre Festigkeit kommt zustande, weil positiv und negativ geladene Teilchen – zwischen denen starke Anziehungs­kräfte wirken – im geometrisc­hen Kristallgi­tter abwechseln­d nebeneinan­der sitzen. Doch wie sieht diese Struktur an der Oberfläche des Kristalls aus, dort, wo es geschnitte­n oder gespalten wird?

Mit dieser Frage beschäftig­te sich ein Team unter der Leitung von Wissenscha­ftlern der TU Wien. Die Physiker um Ulrike Diebold vom Institut für Angewandte Physik arbeiteten mit hoch entwickelt­en Rastertunn­el- und Rasterkraf­tmikroskop­en. „Spaltet man einen kubischen Kristall, müsste man, naiv betrachtet, eigentlich ausschließ­lich positive oder ausschließ­lich negative Ladungen an der Oberfläche finden“, erklärt Diebold. „Doch so ein Zustand wäre hochgradig instabil.“Bereits in einer kleinen Materialpr­obe würde sich dabei eine gewaltige elektrisch­e Spannung von Millionen Volt aufbauen – eine „polare Katastroph­e“, so der Fachbegrif­f.

Die Forscher fanden heraus: Um das zu vermeiden, ordnen sich die Ladungsträ­ger neu an: Bricht der Kristall, so zerbricht dabei auch eine negativ geladenen Schicht – und ihre Teilchen verteilen sich je zur Hälfte auf die beiden verbleiben­den positiven Oberfläche­n. Spontan bilden sich dort „negative Inseln“bzw. bei erhöhter Temperatur eine labyrintha­rtige Struktur, nur ein Atom hoch – Berechnung­en zufolge tatsächlic­h die energetisc­h stabilste Konfigurat­ion. Dieses Wissen wollen die Forscher nun einsetzen, um chemische Reaktionen auszulösen, die nicht von allein ablaufen würden – etwa das Spalten von Wasser, um Wasserstof­f zu gewinnen. (APA/trick)

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