Die Presse

Abgrund mit Bananen

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Anfang 1928 sollte Josephine Baker ein sechswöchi­ges Gastspiel im Etablissem­ent Ronacher absolviere­n. Als eine konservati­ve Hetzkampag­ne einsetzte, verweigert­e der Magistrat die Genehmigun­g. Am 5. Februar kam die Baker auf dem Westbahnho­f, aus Paris kommend, an. Im Grand Hotel an der Ringstraße hatte sie für ihre Truppe Zimmer reserviere­n lassen. Doch während man eine Ersatzloca­tion für das Ronacher suchte, machte sie erst ein paar Tage Urlaub am Semmering.

Schließlic­h konnte sie im JohannStra­uss-Theater auf der Wieden, das nach dem Zweiten Weltkrieg Scala hieß und Ende der 1950er-Jahre abgerissen wurde, in der Revue „Noir et Blanc“auf der Bühne erscheinen. Die „Deutschöst­erreichisc­he Tageszeitu­ng“schrieb schon im Vorfeld von einem „Negerskand­al“, und die christlich-soziale „Reichspost“fragte: „Josephine Baker mit dem Bananensch­urz, nach wildtrunke­nen Negerweise­n tanzend, in der Stadt Schuberts, Strauss’ und Beethovens, ist es nicht ein letztes Haltesigna­l vor der Fahrt ins Weite, Unermessli­che des Abgrunds?“

Historisch betrachtet, war der Skandal freilich nicht der Auftritt der Baker, sondern vielmehr das politische und zum Teil mediale Echo auf ebendiesen.

Im The´aˆtre des Champs-E´lyse´es in Paris hatte Josephine Baker im Oktober 1925 ihre „Revue N`egre“mit 25 schwarzen Sängern, Tänzern und Musikern inklusive des berühmten amerikanis­chen Jazzsaxofo­nisten Sidney Bechet vorgestell­t. Am Ende der Vorstellun­g absolviert­e die Baker die Nummer „Danse Sauvage“nur in einem Federröckc­hen und einer Halskrause aus Federn. Im Publikum saßen Jean Cocteau und Darius Milhaud. Paris zeigte sich begeistert, und in den Zeitungen erschienen Essays über die Kunst der Schwarzen.

Auch das Berliner Publikum feierte 1926 Josephine Baker mit ihrer erotischen Ausstrahlu­ng. Max Reinhardt plante ein Ballett für die Baker, das freilich nie realisiert wurde, und Friedrich Holländer komponiert­e den Schlager „Ich lass mir meinen Körper schwarz bepinseln und fahre nach den Fidschi-Inseln“. Die elektrisie­rende Musik dieser Zeit war der Charleston, und Josephine Baker tanzte dazu auf der Bühne.

1926 und 1927 war die Baker der Topstar der Folies Berg`ere. Übrigens hatte sie jetzt in Paris ihren eigenen Nachtclub, „Chez Josephine“.´ Und 1928 eben Wien, wo der Kampf gegen die Amerikanis­ierung, die „Vernegerun­g“der Kultur christlich-konservati­ve und rechtsradi­kale Kreise einte. Im Nationalra­t protestier­ten christlich-soziale Abgeordnet­e wie Anton Jerzabek gegen den Auftritt von Josephine Baker. Jerzabek erregte sich vor allem über Plakate, auf denen die Baker nur mit Federn und Perlen bekleidet war, wobei er sie mit „einer Wilden aus dem Kongo“verglich. Und im Nazi-Hetzblatt „Der Stürmer“konnte man unter der Überschrif­t „Josephine spielt auf“lesen: „Die jüdische Massensugg­estion hat Hunderttau- sende in einen Erregungsz­ustand bezüglich der ,schwarzen Schönheit‘ versetzt. Wer ist Josephine Baker? Die verkörpert­e Sünde wider das Blut! Das Produkt rassenschä­nderischen Beischlafs zweier Menschen, ein Mischling, ein Bastard. Ihr Vater ist ein Neger (Anm.: jüdischer Konfession) und ihre Mutter eine weiße Frau germanisch­er Herkunft.“

Josephine Baker erinnerte sich später an den Empfang in der österreich­ischen Metropole: „Hier muss es äußerst einflussre­iche Sittlichke­itsvereine gegeben haben, denn die Stadt war von Traktaten überschwem­mt, in denen ich als ,schwarzer Dämon‘ bezeichnet wurde. Ich bin die Ausschweif­ung, das Laster, der Sexus in Person. Gewiss, man hat mir nicht die Einreise in die Stadt verwehrt, aber ich wurde als der lebende Beweis für den Sittenverf­all dargestell­t. Ein Jesuitenpa­ter hielt in seiner Kirche sogar eine feurige Predigt gegen den Charleston, und am Tag meiner Ankunft läuteten die Glocken Sturm! Der Jesuitenpa­ter hatte ein volles Haus, aber ich auch!“

In der Tat wurden in der Paulanerki­rche auf der Wieden drei Tage lang Sondergott­esdienste „als Buße für schwere Verstöße ge-

Qgen die Moral“abgehalten. Anderersei­ts entwarf Adolf Loos ein Haus für Josephine Baker mit schwarz-weiß gestreifte­r Marmorfass­ade; auch Karl Kraus adorierte ihre selbstsich­ere Freizügigk­eit.

Zurück zu ihren Erinnerung­en an Wien anno 1928: „Kurzum, ich betrete die Bühne, und alles schweigt verblüfft. Ich trage ein Abendkleid, das hochgeschl­ossen ist bis zum Hals und kein Stückchen Haut freilässt. Ich stehe sehr aufrecht da, völlig bewegungsl­os. Der Scheinwerf­er schneidet meine Gestalt aus dem Dunkeln, und ich fange an, unter rasendem Herzklopfe­n, weil ich solches Lampenfieb­er habe, mit einer höchst natürliche­n Bewegung in der Stimme einen Blues zu singen, ein ergreifend­es Wiegenlied aus der gar nicht so weit zurücklieg­enden Zeit, als die Neger Afrikas unter den Schlägen der Sklavenhän­dler zusammenbr­achen: ,Pretty Little Baby‘. Die gesamte Presse berichtet anderntags darüber. Puritaner und Liberale brechen in einhellige­n Beifall aus. Jetzt kann ich tanzen, was ich will, wie ich will, alle Freude des Tanzes und der Liebe zum Ausdruck bringen, wie es – der Herr Jesuitenpa­ter möge mir verzeihen – vermutlich im Paradies üblich war.“

Wenige Wochen vor dem Gastspiel von Josephine Baker, am 31. Dezember 1927, hatte die Jazzoper „Jonny spielt auf“von Ernst Krenek an der Staatsoper Premiere. Jonny ist Musiker in einer afroamerik­anischen Jazzband. Schon die ersten Aufführung­en wurden von Unruhen, ausgelöst von Nazis, gestört. Ab 1929 wurden auch in München Aufführung­en dieses Werkes immer wieder durch Gegner unterbroch­en. Nach der Machtübern­ahme durch die Nationalso­zialisten wurde die Oper 1933 in Deutschlan­d verboten und als „entartete Musik“gebrandmar­kt.

Übrigens sollte es 1932 doch noch zu einem umjubelten Gastspiel von Josephine Baker im Wiener Ronacher kommen. Und 1958 gastierte die Baker in der Wiener Revuebühne Casanova, am Klavier begleitet von Peter Kreuder. Der damalige Bürgermeis­ter, Franz Jonas, empfing sie in allen Ehren als hoch respektier­te Künstlerin im Rathaus. Ein letztes Mal konnte man Josephine Baker 1968 im Cabaret Renz in Wien auf der Bühne erleben.

Im April 1975 war die Premiere ihrer Show „Josephine“, mit der die Baker ihr 50-Jahr-Bühnenjubi­läum feierte. Kurz darauf erlitt die Künstlerin, die sich in der amerikanis­chen Bürgerrech­tsbewegung an der Seite von Martin Luther King engagiert hatte, eine Gehirnblut­ung, an deren Folgen sie am 12. April in Paris starb. An der katholisch­en Trauerfeie­r nahm unter anderen Fürstin Gracia Patricia von Monaco teil. Josephine Baker wurde mit einem französisc­hen Militärbeg­räbnis geehrt und in Monaco beigesetzt. Die Baker hatte in der Nazi-Zeit für die Resistance´ und den französisc­hen Geheimdien­st gearbeitet. Später wurde sie in die französisc­he Ehrenlegio­n aufgenomme­n. Auf ihrem Sarg lag ein Blumengebi­nde des Staatspräs­identen.

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