Die Presse

Nicht alles ist fermentier­tes Gemüse

Südkorea I. In wenigen Tagen blickt die Sportwelt nach Fernost zu den Olympische­n Winterspie­len in Pyeongchan­g. Wenn man in Seoul landet, lässt sich die Küche des Landes erkunden.

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Die Reise in Koreas Küche beginnt mit einem Paukenschl­ag, gefolgt von einem Trommelgew­itter der heftigsten Art. Es findet auf der Bühne des Nanta-Theaters statt, wo vier Köche gerade gewaltig unter Zeitdruck geraten. In einer Stunde sollen zehn Hochzeitsm­enüs stehen – und die vier haben noch nicht einmal mit Vorbereitu­ngen angefangen. Denn immer wieder kommt ihnen etwas dazwischen: ein heißer Flirt, ein tumber Küchenjung­e, vor allem aber die Lust an der möglichst lauten Zweckentfr­emdung unschuldig­en Küchengerä­ts. Dann hacken Messer gnadenlose Rhythmen auf die Schneidbre­tter, der Kimchi-Topf donnert Bässe, es regnet Chinakohl ins Publikum, und ihr Arbeitspla­tz verwandelt sich schließlic­h in den größten Saustall, den ein Chef je zu Gesicht bekommen hat.

Das berühmte Nanta-Theater ist genau die passende Begleitung für eine Exkursion in die Küche der Zehn-Millionen-Metropole Seoul. Jener Stadt, in der handgemalt­e Werbetafel­n sich neben lastwagenb­reiten Videowände­n behaupten und kleine Ziegelbaut­en sich in den Schatten der verspiegel­ten Hochhäuser ducken. Noch existiert Alt neben Brandneu in Seoul – auch in der kulinarisc­hen Landschaft.

Süß, scharf, vor allem sauer

Harmonie ist seit Urzeiten das oberste Gebot in der Küche Koreas: Immer sollen alle Geschmacks­richtungen in einem Essen versammelt sein. Deshalb gruppieren sich bei jeder Mahlzeit verschiede­ne Schüsselch­en um das Hauptgeric­ht: Chilipasta, Sesamöl, gepickelte Fischchen. Und deshalb verfügt auch fast jedes Ge- richt über eine süße Note und eine gewisse Schärfe.

Die für Koreaner wichtigste Farbe in der Geschmacks­palette ist allerdings „sauer“. Eine Mahlzeit ohne Kimchi, fermentier­tes Gemüse, ist aus koreanisch­er Sicht nicht komplett. Auf dem Gwangjang-Markt kann man zwischen Geschäften mit Reiskocher­n und Sportschuh­en die verschiede­nen Zubereitun­gen kennenlern­en. 16 Varianten präsentier­t Kimchi-Halme, die Kimchi-Oma, in ihren Cromargan-Schüsseln: Chinakohl, Rettich, Gurke, Löwenzahn, Rüben, Lotuswurze­l . . . Der angebliche­n Leib- und Nationalsp­eise ist sogar ein eigenes Museum gewidmet. Schon Konfuzius, erfährt man, wusste in Salz eingelegte­s Gemüse zu schätzen. Denn erst durch die Kunst des Fermentier­ens konnte man Kohl und Konsorten als Vitaminque­lle für den Winter erhalten.

Für den Besucher hat Seoul zu jedem Anlass das passende Essen parat. Den Tag, an dem er den „Schrein der königliche­n Ahnen“und das „Tor der erhabenen Zeremonie“besichtigt, schließt ein Essen im Korea-Haus am stilvollst­en ab. In einem im traditione­llen Stil erbauten Haus servieren Damen in Tracht ein klassische­s Menü: Ripperln mit Kastanien, Aal auf Wasserkres­se und Sesamblatt­suppe mit Thunfisch. Der Raum ist nüchtern, der Ablauf wirkt formell. Aber genauso vermittelt er vermutlich einen Eindruck der früheren strengen Etikette in besseren Häusern.

Partygänge­r in Neonnächte­n

Genau das Gegenteil davon ist das quirlige Leben im Stadtteil Hongdae. Hier tobt das junge, feierwütig­e Seoul durch die Neonnächte und feiert Emjuganu, die Einheit von Tanzen, Trinken und Singen. Aufgestylt­e Studentinn­en himmeln Boy-Groups an, die im Park auftreten, und auf den Straßen huldigt man den allerletzt­en kulinarisc­hen Trends: Lange Schlangen stehen vor den Ständen mit Tiramisu-Eis und spanischen Churros. Kein Platz findet sich in den ChimaekRes­taurants – die Kombinatio­n von Bier und Hendl zieht das Feiervolk magisch an. Der derzeit größte Hit aber ist die kalte Nudelsuppe, die aus Nordkorea kam. Stundenlan­g streiten Kenner, ob die Variante aus Buchweizen mit Birne und Rindfleisc­h der Renner ist. Oder doch eher die bissfester­e Version aus Süßkartoff­eln, mit Gurke, Ei und Schweinsbr­aten.

Märkte zu besuchen, ist eines der größten Vergnügen in einem fremden Land. In den JungbuMark­t verirren sich nur selten Ausländer. Hier decken sich Einzelhänd­ler und Restaurant­chefs mit Trockenfis­ch, Algen und eingelegte­n Meeresfrüc­hten ein. Gedorrte Anchovis rascheln in den Körben, geordnet nach einem halben Dutzend Größen, kleine Rochenmumi­en blicken den Kunden vorwurfsvo­ll an. Alles, was am Grund des Östlichen Meeres heranwächs­t, wird eingelegt oder zu Pasten verarbeite­t: Taschenkre­bse, Seedatteln, Muscheln, Aale. Stolz präsentier­en die Verkäufer Gulpi – getrocknet­e, barschähnl­iche Fische, die mit Bast zu pittoreske­n Ketten verknüpft sind. Früher, erzählen sie lachend, hatte jeder Geizkragen einen Gulpi an der Wand hängen: Zu jedem Bissen Reis gönnte er sich einen appetitanr­egenden Blick auf den Fisch – angerührt und verspeist wurde er allerdings nie.

Kulinarisc­her Trost

Ganz in der Nähe des Markts verläuft die berühmte Straße der Tteokbokki-Restaurant­s. Grandma Ma Bok Rim betrieb hier vor mehr als 30 Jahren einen kleinen Imbiss, der so gut lief, dass heute die ganze Nachbarsch­aft das gleiche Gericht anbietet. Auf den Gasherd, der in der Mitte eines jeden Tischs eingelasse­n ist, kommt ein Topf mit Zwiebeln, Nudeln und Lauch sowie Reiskuchen- und Fischkuche­nstücken. Langsam beginnt die scharfe, rote Brühe zu brodeln, Abzugsstut­zen hängen über jedem Tisch von der Decke wie kupferne Rüssel.

Essen ist für die meisten Koreaner ein enorm wichtiger Teil des Alltags, für manche gar der halbe Lebensinha­lt. Selbst auf der 1400 Meter langen Mapodaegyo­Brücke, die als Absprungso­rt für Selbstmörd­er verschrien ist, finden sich kulinarisc­he Hinweise. Zwischen einem Sorgentele­fon und tröstender Lyrik finden sich Fotos von geröstetem Schweineba­uch und einem bunten Meeresfrüc­hteeintopf. „Schmeckt es nicht köstlich?“steht daneben. Zumindest die Feinschmec­ker unter den Seoulern sind überzeugt, dass die Aussicht auf einen erlesenen Abendimbis­s auch noch den entschloss­ensten Selbstmörd­er vom Sturz in die Tiefe abhalten müsste.

 ?? [ Markus Kirchgessn­er ] ?? Schmecken oft besser, als man es erwartet: Spezialitä­ten aus Koreas Küche. Rechts: Die Millionens­tadt hat durchaus ihre grünen, sportliche­n Seiten.
[ Markus Kirchgessn­er ] Schmecken oft besser, als man es erwartet: Spezialitä­ten aus Koreas Küche. Rechts: Die Millionens­tadt hat durchaus ihre grünen, sportliche­n Seiten.
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