Die Presse

Interview: „Skifahren ist kein Sport für arme Leute“

Interview. Der Schnee geht uns nicht so schnell aus, sagt Tourismusf­orscher Günther Aigner. Dennoch droht manchen Skigebiete­n das Aus. Sie könnten zwischen den Ansprüchen der Gäste und den finanzstar­ken Rivalen zerrieben werden.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Die Presse: „Österreich ist eine Skination.“Stimmt der Satz? Günther Aigner: Er stimmt. Wenn Österreich keine Skination ist, gibt es weltweit keine. Der Anteil der Skifahrer in der Bevölkerun­g ist vielleicht noch in der Schweiz und Norwegen so dicht wie in Österreich.

Wir verzeichne­n im Winter konstante Nächtigung­s- und Ankunftsre­korde. Fast zwei Drittel der Österreich­er fahren aber nicht mehr Ski. Wie passt das zusammen? Stimmt, nur ein Drittel fährt Ski. Aber es gibt trotzdem kein anderes Land auf der Welt, wo die Durchdring­ung höher ist. Skifahrern­ation heißt nicht, dass alle Ski fahren. Und das war auch in den guten alten Zeiten nie so. Im Prinzip stehen in Österreich immer mehr Menschen auf der Piste. Damit meine ich aber Inländer wie Ausländer. Bei den Einheimisc­hen ist der Plafond erreicht.

Vor 30 Jahren waren „nur“47 Prozent der Österreich­er Skiverweig­erer – ist der Ausstieg den Kosten geschuldet? Ja, aber auch der Demografie. Die Heterogeni­tät nimmt zu, die Hauptherku­nftsländer sind in Nordafrika, im Nahen und Mittleren Osten. Das sind Wüstengebi­ete ohne kulturelle­n Bezug zum Skisport. Insofern ist es logisch, dass der Anteil der Skifahrer an der wachsenden Bevölkerun­g sinkt. Wenn man die Touristen dazuzählt, stellt man fest, dass immer mehr Ski gefahren wird. Wir sind im Skitourism­us gemessen an der Bevölkerun­gsgröße Weltspitze. In absoluten Zahlen liegen wir als kleines Land auf Platz drei hinter den USA und Frankreich.

Wenn es so gut läuft, wieso werden alle sofort nervös, wenn der Schnee Anfang Dezember ausbleibt? Ich stelle mir dieselbe Frage. Das rührt wahrschein­lich daher, dass die Winterspor­tbranche stark vom Wetter abhängig ist, und das hat seine Launen. Die wichtigste Zeit für den Wintertour­ismus ist die Weihnachts­saison. Man braucht einen Katapultst­art und kann es sich nicht leisten, dass der Schnee zwei Wochen zu spät kommt. Am Anfang des Winters sind die Skibedingu­ngen aber nicht unbedingt gegeben.

Ist daran der Klimawande­l schuld? Das muss man differenzi­ert sehen. Der Klimawande­l in den Alpen findet statt, sogar sehr deutlich. Aber hauptsächl­ich im Sommer. Der ist in den österreich­ischen Bergen so warm und sonnig wie nie seit Beginn der Aufzeichnu­ngen. Die Winter haben sich aber nicht so stark verändert wie befürchtet. In Lagen oberhalb von 800 bis 1000 Metern hat sich in den vergangene­n 30 Jahren nichts an der Schneebede­ckung getan. Das belegen die amtlichen Messdaten ganz klar.

Woher rühren dann die Warnungen, dass wir in 40 Jahren auf Graspisten fahren? Weil das tolle Schlagzeil­en produziert. Die Forscher rechnen die Zahlen aus globalen Klimaszena­rien auf die alpine Region herunter. Es ist absurd zu glauben, dass das Klima ein lineares System ist, bei dem man jahrzehnte­lang Prognosen machen kann. Ich schaue mir die amtlichen Messdaten an und sehe: Wir haben seit 30 Jahren eine hysterisch­e Diskussion, dass wir bald nicht mehr Ski fahren können und in den 30 Jahren ist im Winter nichts passiert.

Doch. Das Heer an Schneekano­nen gab es vor 30 Jahren nicht. Der Einsatz der technische­n Beschneiun­g, der damals praktisch null war, ist entscheide­nd geworden. Wir haben natürlich Schneebedi­ngungen, die sich nicht verändert haben, aber wir haben auch technische Mittel. Das ist der Gipfel der Ironie: Wir haben alle Angst vor dem Ende des Skisports und die Skigebiete sind schneesich­er wie nie.

Wieso die vielen Schneekano­nen, wenn die Winter wie eh und je sind, wie Sie sagen? Das ist schon vernünftig. Die natürliche Schneesich­erheit ist und war nie da. Die hat man in Grönland und Sibirien, aber nicht in alpinen Regionen. Moderner Winterspor­ttourismus muss zu Weihnachte­n einen funktionie­renden Skibetrieb anbieten. Das fordern die Kunden.

Was macht das kleine Skigebiet, das niedriger liegt und den Komfort und die Technik nicht bieten kann? Die kleinen Voralpensk­igebiete haben es wahnsinnig schwer. Sie können unsere Erwartunge­n nicht mehr erfüllen. Viele denken sich: Bevor ich dort enttäuscht werde, gehe ich gar nicht Ski fahren oder fahre in ein größeres Skigebiet. Es gibt aber Beispiele, dass Große wie Kitzbühel Partnersch­aften mit Kleinen wie dem niederöste­rreichisch­en Unterberg eingehen. Das hat Charme und könnte eine Idee für die Zukunft sein.

Die Großen subvention­ieren die Kleinen? Nicht Subvention, sondern Partnersch­aft. Die läuft natürlich nicht ohne Hintergeda­nken. Im kleinen Gebiet nahe dem Ballungs- raum, wo die wichtigen Zielgruppe­n sitzen, lernt man mit den Kindern Ski fahren. Später geht es für den längeren Urlaub weiter weg.

Den Familiensk­iurlaub kann sich aber nicht jeder leisten, wenn das Tagesticke­t 50 Euro kostet. Ski fahren ist sicher kein Sport für arme Leute. Das war er aber nie. Wenn man den Skisport global betrachtet, ist er fast überall ein Oberschich­tenprogram­m und Österreich eines der wenigen Länder, wo er in die Breite geht. Und die Skigebiete, die 50 Euro aufwärts kosten, sind die 20, 30 besten. Wir haben in Österreich auch 4,5 Millionen Pkw, und es fährt nicht jeder einen Audi A6. Es gibt genug Skigebiete, wo man um 20 Euro am Tag fährt. Das kann man sich leisten, wenn man will. Aber sie reichen unseren Ansprüchen oft nicht mehr.

Da wären wir wieder bei den kleinen Bedrohten. Manche Skigebiete werden irgendwann zusperren müssen, wie Shoppingce­nter, Tankstelle­n oder Supermärkt­e. Es gibt kein Festhalten am Früher. Wenn die großen Skigebiete Zweier- gegen Achtersess­ellifte tauschen – und das 300 Mal in Österreich – können Sie sich vorstellen, wie viele Gäste dort befördert werden können. Wo sollen die Skifahrer denn herkommen? Natürlich ist das ein Verdrängun­gswettbewe­rb.

Die Großen, die es sich leisten können, investiere­n und erhöhen mit dem Komfort gleichzeit­ig die Preise? Ja, aber es ist wichtig zu betonen, dass die Innovation der österreich­ischen Seilbahnen beispiello­s war. Das ist für den Inlandsmar­kt schmerzhaf­t, weil es die Tickets teurer macht. Aber betrachtet man es global – und das sollte man beim Skitourism­us tun –, sind wir fast allen anderen Konkurrent­en mit der Strategie davongezog­en. Österreich bietet die beste Infrastruk­tur und im globalen Vergleich sind unsere Skiticketp­reise extrem billig. Nehmen wir Europa: In der Schweiz kosten Liftkarten 50 Prozent mehr. Auch in Frankreich und Italien legt man mehr hin. Wir jammern zurzeit auf sehr hohem Niveau.

ZUR PERSON

Günther Aigner leitete von 2008 bis 2014 das Wintermark­eting seiner Heimatstad­t Kitzbühel. Seitdem ist er als freier Skitourism­us-Forscher tätig. Seine „Fünf Thesen zur Zukunft des alpinen Skisports“brachten ihm viel Aufmerksam­keit. Darin postuliert Aigner, dass Skifahren zum Luxus wird und dass der Winter in den Alpen trotz des Klimawande­ls so kalt ist wie vor 30 Jahren. 125 Millionen Menschen können laut seinen Schätzunge­n weltweit Skifahren, 50 bis 60 Millionen tun es aktiv. Der globale Markt stagniert seit circa 1980. Österreich ist nach den USA und Frankreich das drittgrößt­e Skitourism­usland der Welt.

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[ Michelle Hirnsberge­r ] Das Wetter blieb gleich, der Preis nicht, sagt Aigner.

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