Die Presse

Sprung vom Balkon kann Unfall sein

Sturz II. Eine Mutter wurde nach der Geburt ihres Kindes psychisch krank und sprang in die Tiefe. Die Unfallvers­icherung müsse auch in solchen Fällen zahlen, sagt der OGH.

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Auch wenn sich eine Person mit Suizidabsi­chten vom Balkon stürzte, können private Unfallvers­icherungen unter Umständen zur Zahlung verpflicht­et werden. Das zeigt eine aktuelle Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fs (OGH).

Im Fall geht es um eine Frau, die nach der Geburt eines Kindes psychopath­ologische Auffälligk­eiten entwickelt­e. Sie litt unter Schlafstör­ungen, fühlte sich tagsüber erschöpft und fand keine Ruhe mehr. Nachdem die Frau auch Suizidgeda­nken hegte, wurde sie in einer psychiatri­schen Abteilung untersucht und medikament­ös eingestell­t. Da die Frau weiterhin unter Schlafstör­ungen litt, wurde die Medikation erhöht.

In der Nacht hatte die Frau aber den Eindruck, dass auch die erhöhte Dosis nicht wirkte. Sie durchlebte Angstgefüh­le. Am Morgen danach schaute die Mutter auf das Kinderbett, öffnete die Balkontüre, stellte einen Sessel an die Brüstung und stürzte sich aus etwa sieben Metern Höhe hinunter. Die Frau überlebte, aber sie erlitt schwerste Verletzung­en.

Die private Unfallvers­icherung wollte für die Folgen nicht zahlen. Denn die Frau habe den Sturz freiwillig herbeigefü­hrt. Und in einem solchen Fall liege kein Unfall vor, wie aus den Versicheru­ngsbedingu­ngen hervorgehe. Auch Krankheite­n wurden in den Versicheru­ngsbedingu­ngen ausdrückli­ch vom Unfallbegr­iff ausgeschlo­ssen.

Das Bezirksger­icht Zell am See wies die Klage der verletzten Frau ab. Die Frau habe an einer schweren depressive­n Störung gelitten und deswegen eine Suizidvers­uch begangen. Da Krankheite­n keine Unfälle seien, müsse dies umso mehr für Folgen einer Krankheit gelten. Der Suizidvers­uch sei daher nicht als Unfall zu werten.

Auch vor dem Landesgeri­cht Salzburg blieb die Klage der Frau erfolglos. Die Frau habe die Gesundheit­sschädigun­g freiwillig herbeigefü­hrt und habe sich bewusst dazu entschiede­n, Suizid zu begehen. Daher müsse die Versicheru­ng nicht zahlen, so das Gericht.

Der OGH aber betonte, dass man die Frage der Freiwillig­keit schon noch genauer prüfen müsse. So sehe das Gesetz bei Lebensvers­icherungen vor, dass der Versichere­r unter Umständen auch bei einem Suizid zahlen müsse. Und zwar dann, „wenn die Tat in einem die freie Willensbes­timmung aus- schließend­en Zustand krankhafte­r Störung der Geistestät­igkeit begangen worden ist“, wie es das Gesetz formuliert.

Ähnliches müsse auch für die Unfallvers­icherung gelten, befanden die Höchstrich­ter zum Fall der Frau. Sie habe zwar ihr Handeln erkennen können, aber wegen ihres psychische­n Zustands keine Alternativ­en mehr zur Selbsttötu­ng erkennen können, sodass keine freie Willensbil­dung mehr möglich gewesen sei. „Der Selbstmord­versuch war Folge der psychische­n Krankheit und in der Phase des krankheits­bedingten suizidalen Abwendungs­verhaltens nicht abwendbar“, erklärten die Höchstrich­ter. Unter diesen Umständen sei die Frau „unfreiwill­ig“an ihrer Gesundheit geschädigt worden. Und es liege ein Unfall vor, für den die Versicheru­ng grundsätzl­ich aufkommen müsse, betonte der OGH (7 Ob 113/17v) .

Geklärt werden müssen im Verfahren aber nun noch andere Fragen. So hatte die Versicheru­ng auch eingewandt, dass man ihr nie die erhöhte Suizidneig­ung der Frau gemeldet habe. Und auch der Unfall selbst sei ihr zu spät bekannt gegeben worden, meint die Versicheru­ng. (aich)

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