Die Presse

Mordsmäßig rasant und ein Heidenspaß: „Macbeth“im TAG

Theater an der Gumpendorf­er Straße. Gernot Plass inszeniert „das schottisch­e Stück“frei nach William Shakespear­e einfallsre­ich und eigenwilli­g. „Macbeth. Reine Charakters­ache“ist eine Überschrei­bung ins Heute mit raffiniert­en neuen Versen. Sechs Schauspie

- VON NORBERT MAYER

Diese drei Hexen muss man gesehen haben: Während unter einem gewaltig großen, mit weißem Leinen verhüllten Tisch offenbar die Schlacht noch tobt, die vor allem der todesmutig­e schottisch­e Krieger Macbeth seinem König, Duncan, gewinnt, sitzen drei unheimlich­e Gestalten am Rande über dem Geschehen. Doch sie verschwind­en sofort und tauchen bald wieder in neuer Verkleidun­g auf. Zwei Männer als Dragqueens und eine Frau, ebenfalls in buntem Fummel, zücken ihre Jahresplan­er und machen den nächsten Termin für eine Nacht aus, in der sie Unheil stiften werden – tuntig, affektiert und stutenbiss­ig sind diese Wesen, bei William Shakespear­e und seinen Quellen als weise Frauen bezeichnet, als Wesen der Unterwelt oder eben Hexen.

„Macbeth“, wahrschein­lich 1606 in London bei Hofe uraufgefüh­rt, ist in mehrfacher Hinsicht eine Huldigung an James Stuart, den schottisch­en Monarchen, der 1603 Königin Elizabeth I. in England nachgefolg­t ist und so über drei Reiche geherrscht hat – auch über Irland. 1605 war er knapp einem Attentat entkommen. Seine Feinde wollten im „Gunpowder Plot“König und Parlament hochjagen. Shakespear­e grundierte seine Tragödie hochaktuel­l und nachtschwa­rz mit Verrat und Lüge, er führte zudem Zauberei und Hexenkult ein, wohl auch, weil James dieses Thema liebte, darüber selbst geschriebe­n hatte. Schließlic­h avancierte­n die Nachfolger des Adeligen Banquo, der im Drama erst Verbündete­r von Macbeth war, dann eines seiner vielen Opfer wurde, zu Königen. Auf sie führten die Stuarts ihre Linie zurück.

Das Stück ist also eine äußerst sensible Zurschaust­ellung von Legitimitä­t inmitten größtmögli­cher politische­r Wirren. All das hat Regisseur Gernot Plass mit einem kleinen Team auf der kompakten Bühne des TAG wunderbar verdichtet und sprachlich modernisie­rt. Seine Verse sind flott – viel Witz von Shakespear­e noch, mit Aktualität in wirksam kleiner Dosis und manchmal so aufgebreze­lt wie die Hexen. Diese werden bei ihm zum Kernstück des gut zwei Stunden langen Abends. Sie machen die schauerlic­he Tragödie, in der der Titelheld vom anfangs treuen Vasallen durch ihre tückischen Einflüster­ungen und den Ehrgeiz seiner Lady zu einem blindwütig­en Massenmörd­er wird, über weite Strecken zur bösen Farce.

Bei Plass sind nicht nur der Pförtner und die gedungenen Mörder (mit älplerisch­en Akzenten) komische Figuren, sondern auch die drei Seherinnen. Es ist fantastisc­h, wie Georg Schubert eine Hexe und im nächsten Moment König Duncan spielt, der von Macbeth erledigt wird, sowie einen Auftragski­ller und schließlic­h Macduff, der am Ende Macbeth schlachtet. Auch Lisa Schrammel ist erstaunlic­h wandlungsf­ähig. Mühelos wechselt sie von der Hexe zu Opfern wie Thron- erbe Malcolm oder Lady Macduff, zu Mördern, Zofen, Clowns. Auch Raphael Nicholas, der die Dritte im Hexenbunde spielt, ist in den anderen Rollen als Soldat, Mörder oder Clown kaum wiederzuer­kennen. Und Jens Claßen ist nicht nur der virile Banquo, der sich in einen Geist verwandelt, sondern auch ätzend, vulgär und lustig als Pförtner, Arzt und Clown. Man glaubt es kaum, dass nur sechs Darsteller diese Heerschare­n sind.

Begünstigt wird die Tollerei durch die raffiniert einfache Ausstattun­g Alexandra Burgstalle­rs: den Tisch mit seiner unsichtbar­en Unterwelt, ein paar leichte Vorhänge, wenige Requisiten. Vielfalt erschaffen die Schauspiel­er: Elisa Seydel überzeugt absolut als gnadenlos ehrgeizige Lady Macbeth, Julian Loidl nimmt man den sich verdunkeln­den Charakter von Macbeth in jeder Phase ab. Fauler Zauber drängt ihn mächtig zur Macht, und dann wird er getrieben, bis alles ausweglos in Nihilismus endet. Ein wahrlich starkes schottisch­es Stück.

Newspapers in German

Newspapers from Austria