Die Presse

Die Verdummung des Wirtschaft­slebens

Beim Vormarsch von Robotik und künstliche­r Intelligen­z geht es um mehr als Arbeitsplä­tze. Es geht um unser Denken.

- VON HAROLD JAMES

Die Geschichte bietet für die unsichere Zukunft, vor der wir stehen, nur bedingt eine Anleitung. Was wir dank der ersten Industriel­len Revolution wissen, ist, dass neue Technologi­en den Menschen und andere Arten grundlegen­d verändern können. Der Schlüssel zu diesem Prozess war laut dem Historiker Tony Wrigley von der Universitä­t Cambridge die Verdrängun­g der von Mensch und Tier produziert­en mechanisch­en Energie durch produktive­re Formen wie Kohle und andere fossile Brennstoff­e.

Natürlich kam es nicht sofort zur großumfäng­lichen Entwertung menschlich­er und tierischer Muskelkraf­t. Zunächst erforderte­n viele Hilfsarbei­ten – darunter der Kohlebergb­au oder die Herstellun­g von Zwischenpr­odukten in den Werkstätte­n – noch immer enorme körperlich­e Anstrengun­gen. Doch nach rund zwei Jahrhunder­ten war Körperkraf­t kaum noch gefordert. Die grundlegen­de Beschaffen­heit von Arbeit hatte sich allmählich verändert. Ende des 20. Jahrhunder­ts saßen Landwirte auf Traktoren, und selbst der Kohlebergb­au war weitgehend mechanisie­rt. Es gab in den entwickelt­en Ländern kaum noch Menschen, die sich ihren Lebensunte­rhalt im Schweiße ihres Angesichts verdienten.

Auch die menschlich­e Physiognom­ie änderte sich, insbesonde­re als das Potenzial der Industriel­len Revolution dann voll ausgeschöp­ft war. Ein sitzender Lebensstil brachte sichtbar unterschie­dliche Menschen hervor. Der Körperumfa­ng nahm zu, da die zuvor gesunde Ernährung, die man für massive physische Anstrengun­gen brauchte, zunehmend ungesund wurde.

Einigen waren diese Veränderun­gen bewusst, und sie sorgten sich darüber. Eine wachsende Minderheit begann, sich nicht auf dem Feld oder in der Fabrik, sondern in ihrer Freizeit intensiv kör- perlich zu betätigen. „Im Schweiße seines Angesichts“wurde nicht länger mit produktive­r Arbeit, sondern mit Konsum – häufig demonstrat­ivem Konsum – in Verbindung gebracht. Sporthalle­n wurden zu neuen Quellen von Gemeinscha­ftserlebni­ssen. Und als Arbeitskol­legen begannen, zusammen Sport zu treiben, erkannten visionäre Arbeitgebe­r diese Form der Freizeitge­staltung als eine wertvolle Quelle körperlich­en und geistigen Wohlbefind­ens.

Die Industriel­le Revolution wurde durch geistige Tätigkeit vorangetri­eben. Eine andere Art und Weise, darüber nachzudenk­en, ist daher, sie als „Industriou­s Revolution“(Fleißrevol­ution) anzusehen. Bei einer Fleißrevol­ution konkurrier­en vernetzte Gruppen von Innovatore­n miteinande­r, um neue Lösungen für bestehende Probleme zu finden.

Indem er geistigen Anstrengun­gen einen hohen Stellenwer­t verschafft­e und körperlich­e Routinetät­igkeiten unnötig

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