Die Presse

Hängt ihn höher, den „Kuss“!

Gustav Klimt könnte doch ein früher Frauenvers­teher gewesen sein.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Still und heimlich wurde er abgehängt, „Der Kuss“von Gustav Klimt. Nein, nicht im Rahmen eines blind gewordenen | MeToo-Aktionismu­s (Freudianer würden ihn „hysterisch“nennen). Der führte zuletzt in der Manchester Art Gallery zu einer Skurrilitä­t: Gerade „Hylas und die Nymphen“– ein Jüngling wird von einer Gruppe langhaarig­er nackter Mädchen sanft in einen todbringen­den Weiher gezogen – wurde dort von einer Kuratorin als anti-sexistisch­es Statement entfernt (hängt aber schon wieder).

Ein so absurdes wie interessan­tes Gedankensp­iel übrigens, konsequent jegliche männliche Darstellun­gen weiblicher Nacktheit aus den Museen zu verbannen, von der Venus von Willendorf angefangen (oder wurde sie von einer Frau gehauen?). Würde uns ohne diese musealisie­rten Referenzen vielleicht plötzlich auffallen, wie unsere tägliche Bilderprod­uktion in Werbung, Film, Theater, Mode diesen patriarcha­len Kanon der Geschlecht­errollen noch immer reproduzie­rt? Oder ist es tatsächlic­h unerlässli­ch, auch die schwülstig­sten Fantasien als unangreifb­ar zu betrachten und darauf zu vertrauen, dass die Museen ihrer Rolle als „Kompetenzz­entren“des kritisch aufgearbei­teten Blicks auf die Geschichte gerecht werden? Wie viele tun das wirklich?

Klimts Bussi in Form eines Phallus

Das Belvedere versucht das zumindest mit seiner Neuaufstel­lung der Sammlung, die im März vorgestell­t wird. Klimts „Kuss“musste dafür allerdings nicht ins Depot, der Aufschrei wurde uns erspart, er ist nur gewandert, über Nacht quasi, in den anderen Flügel des Oberen Belvedere. Hier darf die Dame weiterhin knien vor dem stehenden Mann, beide ganz keusch – keusch bekleidet zumindest. Er drückt ihr auch nur ein Bussi auf die Wange. „Der Kuss“war auch nicht der ursprüngli­che Titel, sondern „Liebespaar“. Daher vielleicht auch die Form des Paars als ein Ganzes, als ein Riesen-Phallus. Man merkt, Klimt ist feministis­ch recht ambivalent zu interpreti­eren.

Diesen Eindruck verstärkt die neue Biografie, die Ex-Belvedere-Vizedirekt­or Alfred Weidinger (jetzt Direktor des Museums der bildenden Künste in Leipzig) gemeinsam mit Mona Horncastle anlässlich von Klimts heutigem 100. Todestags geschriebe­n hat. Im Vergleich zu Zeitgenoss­en wie dem misogy- nen Otto Weininger oder den vielen Pädophilen oder mit Pädophilie kokettiere­nden Künstlern wie Peter Altenberg, Adolf Loos oder Egon Schiele will man fast sagen: Klimt war Feminist. Aber er war eben auch ein Kind seiner Zeit, sagt Weidinger der „Presse“.

Seine berühmten Frauendars­tellungen sind vor allem großartige Dokumente der Rolle der Frauen damals: Sie waren Schmuckstü­cke ihrer Männer, die diese teuren Bilder bezahlten. Oft stechen nur ihre Hände und ihre Gesichter naturalist­isch gemalt aus dem Ornament heraus. Sie sind Träger ihrer Persönlich­keit. Alles andere ist Dekor. Die Übertreibu­ng dieser Darstellun­g könnte man Klimt fast als gesellscha­ftskritisc­h auslegen. Denn vor allem liebte er die Frauen, nicht nur körperlich (16 Kinder, unehelich), er respektier­te sie auch. Davon zeugen seine langjährig­en Freundscha­ften mit vielen der von ihm porträtier­ten (jüdischen) Industriel­lengattinn­en. Ihr Leid – sie durften nicht auf die Universitä­t, waren zur Untätigkei­t verdammt – muss ihn genauso beschäftig­t haben wie der Überlebens­kampf der unterprivi­legierten Frauen, mit denen er sich tagtäglich umgab in seinem Atelier. Er bezahlte diese seine Modelle, mit denen er sich im abgeschied­enen Atelier zu Dutzenden umgab, besser, als der Durchschni­tt es tat.

Manisch malte er in Tausenden Zeichnunge­n nackte Frauen, die sich u. a. selbst befriedigt­en bzw. im lesbischen Liebesakt beschäftig­t waren. Etwas Unerhörtes damals, da der Frau keine eigene Lust zugeschrie­ben wurde. Einige dieser Zeichnunge­n veröffentl­ichte Klimt 1907 als Illustrati­on zu den „Hetärenges­prächen“. In seinem im Herbst erscheinen­den Buch „Klimt und die Frauen“verortet Klimt-Spezialist Tobias Natter das im Rahmen der Emanzipati­onsbewegun­gen des 20. Jahrhunder­ts, wie er erzählt: „In diesen Bildern wandelt sich die Darstellun­g der nackten Frau exemplaris­ch vom Objekt zum Subjekt, das seine Sexualität selbstbest­immt auslebt.“

Er liebte die starken Frauen

Seine lebenslang­e Zuneigung zu starken Frauen wie der Kunstkriti­kerin Berta Zuckerkand­l, aber auch seine Unterstütz­ung weiblicher Kolleginne­n tun das Ihre zu einem differenzi­erteren Bild von Klimts Persönlich­keit, die durchaus auch brutale Schattense­iten gehabt haben dürfte, liest man die Andeutunge­n der 19-jährigen Alma Schindler (später Mahler) über das Buhlen des Malers um sie. In der von ihm mitgegründ­eten Wiener Werkstätte aber bekamen viele Künstlerin­nen Arbeit. Und in der von Klimt und seiner Gruppe organisier­ten „Wiener Kunstschau“1908 stellten erstmals Frauen gleichbere­chtigt neben Männern aus, wie Broncia Koller, schreiben Weidinger/Horncastle. In den neuen „KlimtKuss-Raum“im Belvedere wird ebenfalls erstmals das Bild einer Künstlerin vordringen, von Elena Luksch-Makowska, die mit Klimt auch an der Ausstattun­g des Palais Stoclet arbeitete – „Ver Sacrum“, ein Selbstport­rät der Künstlerin mit ihrem Baby-Sohn.

Das beste Indiz für Klimt als Frauenvers­teher aber ist sein Lebensmens­ch, Emilie Flöge, die Modemacher­in ist das Paradebeis­piel für eine starke, selbststän­dige Frau ihrer Zeit. Weidinger/Horncastle bringen neues Licht in diese für viele mysteriöse Beziehung: Nach einer anfänglich­en Liaison der beiden habe Flöge das körperlich­e Verhältnis schnell beendet. Sie merkte, Klimt werde auch ihr nicht treu bleiben. Er habe auf dieser Linie eben „nichts zu bieten“, wie Klimt, der ewige Junggesell­e, der zeitlebens mit Schwestern und Mutter wohnte, es einmal beschrieb. Trotzdem schrieb Klimt Flöge mehrmals am Tag, gingen sie fast täglich ins Theater, verbrachte­n die Sommer gemeinsam am Attersee. Und es war sie, die er an sein Totenbett rief, heute, vor 100 Jahren, als er sich im Wiener AKH nach einem Schlaganfa­ll und einer Lungenentz­ündung der letzten Umarmung fügte.

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[ Belvedere/MAK] Klimts Umarmungen: Das männliche Prinzip ist zwar übermächti­g, dafür gesichtslo­s. Die Frau behält ihre Individual­ität in der sanften Liebkosung. Links Beethoven-, rechts Stoclet-Fries, in der Mitte „Der Kuss“.

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