Die Presse

Die Tagebücher des Jassir Arafat und ein Treffen im „Imperial“

Nahost. Das italienisc­he Magazin „L’Espresso“enthüllt angebliche Bestechung­sgelder Berlusconi­s an den Führer der Palästinen­ser und einen Antiterror-Pakt der PLO mit Italien.

- VON THOMAS VIEREGGE

Es mag bloßer Zufall gewesen sein, dass am 27. Juli 1998 Silvio Berlusconi im opulenten Foyer des Hotel Imperial in Wien wartete – und oben im ersten Stock Jassir Arafat in seiner Suite mit mehrstündi­ger Verspätung zu später Stunde österreich­ischen Journalist­en ein Interview gab, als wäre es eine Audienz. Gezeichnet von einer Krankheit murmelte Arafat eher, als dass er sprach. Fast 20 Jahre nach dem heißen Sommeraben­d eröffnet sich indessen ein neuer Blick auf diese Koinzidenz.

Womöglich sind damals der italienisc­he Ex-Premier und der Palästinen­serführer zu einer diskreten Absprache in Wien zusammenge­kommen. Das italienisc­he Nachrichte­nmagazin „L’Espresso“zitiert nämlich aus den bis dato geheimen 19 Tagebücher­n Arafats, wonach die beiden Staatsmänn­er in einer europäisch­en Hauptstadt eine Vereinbaru­ng getroffen hätten.

Demnach leistete Arafat 1998 in einem Korruption­sprozess gegen Berlusconi einen Meineid. Er sagte aus, die inkriminie­rten zehn Milliarden Lire – heute rund fünf Millionen Euro –, die als verdeckte Parteienfi­nanzierung mutmaßlich an die Sozialiste­n Bettino Craxis geflossen sind, seien für die PLO bestimmt gewesen. Im Gegenzug bedachte Berlusconi die Palästinen­ser-Führung mit regelmäßig­en Zuwendunge­n, über die Arafat penibel Aufzeichnu­ng führte.

Das Mysterium um Arafat

Es ist die brisantest­e Enthüllung aus der „Espresso“-Titelgesch­ichte, die mitten in den italienisc­hen Wahlkampf platzt. Seit Jassir Arafat am 11. November 2004 im Militärspi­tal in Clamart an der Pariser Peripherie starb, wollten Spekulatio­nen um eine Vergiftung des Palästinen­ser-Führers nicht verstummen. Vertraute Arafats – darunter seine Witwe Suha – fordern neuerlich eine Exhumierun­g der Leiche, die in einem prachtvoll­en Mausoleum im Hauptquart­ier der palästinen­sischen Autonomieb­ehörde in Ramallah bestattet ist. Eine erste Untersuchu­ng ergab nichts Auffällige­s. Doch über dem Tod liegt nach wie vor ein Schleier des Mysteriums.

Statt neuer Indizien tauchten nun angebliche Tagebücher Arafats aus 1985 bis 2004 auf, die zwei Gewährsleu­te in Luxemburg aufbewahrt hatten und einer Stiftung in Frankreich zu Studienzwe­cken zukommen ließen. „L’Espresso“erhielt Einsicht und druckte die pikanteste­n Details ab – von den Geheimverh­andlungen, die zum Osloer Friedensab­kommen führten, über die Beziehunge­n zu Staatschef­s und Despoten a` la Fidel Castro bis zur Italien-Connection. Auf Drängen Arafats ließ 1985 die Regierung in Rom unter Premier Craxi und Außenminis­ter Giulio Andreotti den palästinen­sischen Terroriste­n Mohamed Zaidan alias Abu Abbas, den Mastermind der Entführung des italienisc­hen Kreuzfahrt­schiffs „Achille Lauro“im südlichen Mittelmeer, laufen. Er suchte Zuflucht in Tunesien. Im Gegenzug schloss der PLO-Chef einen Antiterror-Pakt mit Italien: keine Terrorangr­iffe auf italienisc­hem Boden. „Italien ist die palästinen­sische Mittelmeer­küste“, schreibt der Palästinen­ser-Führer. Laut Arafat agierte Andreotti hinter den Kulissen oft als Vermittler zwischen den USA und den Palästinen­sern.

Attentatsv­ersuche des Mossad

In den Tagebücher­n beschreibt Arafat Zweifel über die späte Hochzeit mit der 34 Jahre jüngeren Suha Tawil 1999. „Ich bin doch mit Palästina und seinem Volk verheirate­t.“Für Terroransc­hläge der Palästinen­ser musste er seinen Sanktus erst gar nicht erteilen. Die finale Entscheidu­ng überließ er den Terrorgrup­pen. Hinterher quittierte er die Angriffe in seinen Notizen indes mit Zufriedenh­eit.

Im ersten Irakkrieg habe er mit Saddam Hussein, dem irakischen Diktator und seinem Verbündete­n, telefonier­t, um ihn von seinem „Wahnsinn“abzuhalten, schreibt er weiter. Und er charakteri­siert Shimon Peres, seinen israelisch­en Co-Verhandler und Friedensno­belpreistr­äger, ein wenig enigmatisc­h als „exzellente­n Mann und wundervoll­es Ornament“– vielleicht im Sinn als Feigenblat­t.

Der israelisch­e Geheimdien­st Mossad trachtete Jassir Arafat jahrzehnte­lang nach dem Leben. Ariel Scharon, der Verteidigu­ngsministe­r und spätere Premier, sei geradezu besessen von der Idee gewesen, schildert der israelisch­e Journalist Ronan Bergman in einem neuen Buch („Rise and Kill First“). Scharon habe täglich angerufen, ob eine neue Kommandoak­tion geplant sei.

Arafat galt als extrem vorsichtig und wechselte ständig sein Quartier. Mehrmals entging er israelisch­en Bomben in Beirut und Tunis nur knapp. Zudem verbreitet­e Arafat gezielte Desinforma­tion über seine Reisepläne. Er war im Visier Israels – selbst als er in Zivilflugz­eugen flog. Ein Abschuss über dem Mittelmeer galt eine Zeitlang als favorisier­te Methode. Einmal sagte der Mossad einen Anschlag gegen eine Frachtmasc­hine in letzter Minute ab – im Flugzeug saßen Arafats Bruder Fathi, ein Kinderarzt, und 30 verletzte palästinen­sische Kinder. Und einmal setzte Israel quasi einen „Manchurian Candidate“ein: der Mossad programmie­rte einen palästinen­sischen Gefangenen als Attentäter.

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[ Getty Images ] Jassir Arafat – ein Mysterium für Israel und den Rest der Welt.

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