Warum die Türken selbst Bier brauen
Alkohol. Dank der hohen Steuern steigt die Zahl der Hobbybrauer. Obwohl der Marktführer Efes Rückgänge beim Verkauf verzeichnet, ist der Konsum von Alkoholika im Land stabil geblieben.
„Kommst am Abend nach Hause, willst deinen einzigen Luxus genießen, nämlich dein Feierabendbier, aber das kostet ja auch schon acht bis zehn Lira“, schreibt Berrak. „Und außerdem gibt es eh nur Pils.“Die türkische Bloggerin hat daher beschlossen, daheim selbst Bier zu brauen. Für das Equipment habe sie einmal knapp 300 Türkische Lira ausgegeben – das sind umgerechnet 65 Euro.
Detailreich beschreibt sie auf ihrer Seite, welche Schläuche wo hingehören, und wie sie die Hygienebestimmungen einhält. Nach mehrmaligem Brauen koste sie eine hausgemachte Flasche nur mehr drei Lira. Und außerdem habe sie jetzt die Auswahl: Pale Ale, Malt und weitere, selbst in hippen Bars selten erhältliche Sorten.
Berrak ist keine Ausnahmeerscheinung, die private Bierherstellung boomt in der Türkei. Jüngst beschwerte sich der Chef des Ana- dolu Konsortiums, Tuncay Özilhan, dass der Bierverkauf in der Türkei 2017 – wie auch im Jahr zuvor – um knapp sechs Prozent gesunken sei. „Aber ich glaube nicht, dass deswegen weniger konsumiert wird“, sagte er. Schuld seien die enorm hohen Steuern auf Alkoholika von bis zu 50 Prozent. Dem mächtigen Konsortium gehören neben dem Marktführer Efes Brauerei auch McDonald’s und Coca-Cola an.
350 Liter im Jahr
Tatsächlich freuen sich die Anbieter von Brau-Utensilien über die gesteigerte Nachfrage. Ein Unternehmen wirbt damit, dass Bier brauen so sicher sei wie Joghurt machen – und ein „witziges Geburtstagsgeschenk“. Von Bockbier bis Lager, von Stout bis „Belgische Spezialität“reicht die Palette. Besonders weisen die Unternehmer darauf hin, dass Bierbrauen nicht illegal ist: Das türkische Gesetz erlaubt das private Herstellen, limitiert auf 350 Liter pro Jahr und nur für den Eigenverbrauch (das gilt auch für Wein). Viel strengere Restriktionen gelten für Hochprozentiges, aber auch hier geben Hobbybrenner in sozialen Medien und YouTube-Kanälen Tipps für die Eigenerzeugung. Die Steuern sind auch hier ausschlaggebend: Der Preis für Rakı, den türkischen Anisschnaps, ist in den vergangenen 14 Jahren um 500 Prozent gestiegen.
Dass die konservative Regierungspartei AKP kein Freund von Alkohol ist, zeigt sie in regelmäßigen Abständen, Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ hat gar jeden, der auch nur gelegentlich Alkohol trinkt, zum Alkoholiker erklärt. Statt Rakı haben AKP-Politiker das aus Joghurt bestehende Ayran zum Nationalgetränk der Türken erhoben, und auch die Gesetze wurden angepasst: Alkoholwerbung ist in Zeitungen und im Fernsehen verboten, Greißler und Supermärkte dürfen ab 22 Uhr keine Alkoholika mehr verkaufen. „Alkohol ist nicht dein Freund“, steht nun als Warnung auf jeder Flasche.
„Die AKP“, witzelt ein Brenner auf seinem Blog, „hat uns gelehrt, wie man Rakı macht.“Wobei seine Version der Herstellung ganz offensichtlich auf Hausmitteln beruht und semiprofessionell aussieht. Tatsächlich kommt es immer wieder vor, dass Menschen nach dem Konsum von gepanschten oder giftigen Getränken ins Spital eingeliefert werden müssen.
Aufruf zum Boykott
Die Regierung argumentiert stets damit, dass Alkohol eben gesundheitsschädlich ist. Ihre Bemühungen scheinen aber nicht auf fruchtbaren Boden zu fallen, denn der Verkauf von Alkohol ist zwar zurückgegangen, der Konsum aber nicht. Die Aussage Özilhans deckt etwa ein Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, wonach der Konsum im Land über Jahre stabil geblieben sei. Unterdessen ist die Aussage Özilhans vielen jungen Türken sauer aufgestoßen, auf sozialen Medien forderten sie gar einen Boykott von Efes-Bier: Der Unternehmer wolle erreichen, dass Selbstgebrautes auch besteuert werden soll, um seine sinkenden Verkaufszahlen wieder zurechtzurücken. „Wenn das so weitergeht“, schreibt einer auf Twitter, „dann gibt es bald Steuern auf das Börek, das meine Mutter zu Hause backt.“
Nach der Kritik ruderte Özilhan zurück. Jede Mikrobrauerei trage zu der Vielfalt in der türkischen Bierlandschaft bei, und das müsse man auch fördern, lobte der Unternehmer die Hobbybrauer.