Bach, ganz groß in kleinster Sängerbesetzung
Das Collegium Vocale Gent unter Philippe Herreweghe gastierte im Kantatenzyklus des Konzerthauses.
Eine Reise ins Unbekannte durften sich Musikfreunde versprechen, als der Barton Georg Nigl vor Jahren sein Bach-Projekt im Konzerthaus lancierte. Sämtliche Kantaten des Thomaskantors sollten über die Jahre hin live erklingen – ein Endlosprojekt, denn von den fünf Jahrgängen an Kirchenkantaten, die Bach komponiert hat, sind mehr als 200 überliefert. Jüngst gastierte im Zyklus Philippe Herreweghe mit seinem Collegium Vocale aus Gent – und präsentierte nebst der Messe in A-Dur zwei Kantaten für den neunten bzw. zehnten Sonntag nach Trinitatis.
Das war, zugegeben, kein wirkliches Faschingsprogramm, aber die versprochene Klangreise, denn, Hand aufs Herz, wer kennt „Herr, deine Augen sehen nach dem Glauben“oder „Herr, gehe nicht ins Gericht“? Und wie immer bei diesem Komponisten kommt der Hörer aus dem Staunen nicht heraus. In Bachs reichem OEuvre scheint es wirklich keine zwei Stücke zu geben, die nach demselben Muster gestrickt sind.
Auch hier eine Überfülle von Möglichkeiten, Texte mit musikalischen Mitten zu verdeutlichen, zu vertiefen, eindringlich zu deklamieren oder tief auszudeuten. Auch hier von Satz zu Satz kühne Aufgaben für Gesangssolisten – in absteigender Deutlichkeit diesmal vom leuchtenden, beweglichen Sopran Dorothee Mields bis zum klangvollen, aber nicht ganz so detailgenauen Peter Kooij.
Die Solostimmen kommen bei Herreweghe allesamt aus dem Verband des klein besetzten, ungemein wendigen und geschmeidig phrasierenden Chors, der so klar und lupenrein agiert wie die Instrumentalisten, aus denen immer wieder beredte Solostimmen hervortreten – einmal sogar ein „Zug-Horn“, dessen nicht immer ganz sauber intonierte, aber unverwechselbare, klangschöne Töne die Farbenpalette reizvoll anreicherten.
Herreweghes Bach-Stil ist von beeindruckender Schlichtheit, vermeidet jeden äußerlichen Effekt. Für die oft schmerzvollen Leidenstöne sorgt ohnehin Bachs kühne chromatische Schreibweise, die heftige Dissonanzballungen kennt, denen das Collegium mittels vibratoloser Tongebung die nötige Schärfe verleiht. Die Tatsache, dass Chor und Orchester in Minimalbesetzung antreten, tut der Wirkung im Großen Konzerthaussaal im Übrigen keinen Abbruch. Wer deutlich artikuliert, hat kein Problem, gehört zu werden . . .