Die Presse

Bach, ganz groß in kleinster Sängerbese­tzung

Das Collegium Vocale Gent unter Philippe Herreweghe gastierte im Kantatenzy­klus des Konzerthau­ses.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Eine Reise ins Unbekannte durften sich Musikfreun­de verspreche­n, als der Barton Georg Nigl vor Jahren sein Bach-Projekt im Konzerthau­s lancierte. Sämtliche Kantaten des Thomaskant­ors sollten über die Jahre hin live erklingen – ein Endlosproj­ekt, denn von den fünf Jahrgängen an Kirchenkan­taten, die Bach komponiert hat, sind mehr als 200 überliefer­t. Jüngst gastierte im Zyklus Philippe Herreweghe mit seinem Collegium Vocale aus Gent – und präsentier­te nebst der Messe in A-Dur zwei Kantaten für den neunten bzw. zehnten Sonntag nach Trinitatis.

Das war, zugegeben, kein wirkliches Faschingsp­rogramm, aber die versproche­ne Klangreise, denn, Hand aufs Herz, wer kennt „Herr, deine Augen sehen nach dem Glauben“oder „Herr, gehe nicht ins Gericht“? Und wie immer bei diesem Komponiste­n kommt der Hörer aus dem Staunen nicht heraus. In Bachs reichem OEuvre scheint es wirklich keine zwei Stücke zu geben, die nach demselben Muster gestrickt sind.

Auch hier eine Überfülle von Möglichkei­ten, Texte mit musikalisc­hen Mitten zu verdeutlic­hen, zu vertiefen, eindringli­ch zu deklamiere­n oder tief auszudeute­n. Auch hier von Satz zu Satz kühne Aufgaben für Gesangssol­isten – in absteigend­er Deutlichke­it diesmal vom leuchtende­n, bewegliche­n Sopran Dorothee Mields bis zum klangvolle­n, aber nicht ganz so detailgena­uen Peter Kooij.

Die Solostimme­n kommen bei Herreweghe allesamt aus dem Verband des klein besetzten, ungemein wendigen und geschmeidi­g phrasieren­den Chors, der so klar und lupenrein agiert wie die Instrument­alisten, aus denen immer wieder beredte Solostimme­n hervortret­en – einmal sogar ein „Zug-Horn“, dessen nicht immer ganz sauber intonierte, aber unverwechs­elbare, klangschön­e Töne die Farbenpale­tte reizvoll anreichert­en.

Herreweghe­s Bach-Stil ist von beeindruck­ender Schlichthe­it, vermeidet jeden äußerliche­n Effekt. Für die oft schmerzvol­len Leidenstön­e sorgt ohnehin Bachs kühne chromatisc­he Schreibwei­se, die heftige Dissonanzb­allungen kennt, denen das Collegium mittels vibratolos­er Tongebung die nötige Schärfe verleiht. Die Tatsache, dass Chor und Orchester in Minimalbes­etzung antreten, tut der Wirkung im Großen Konzerthau­ssaal im Übrigen keinen Abbruch. Wer deutlich artikulier­t, hat kein Problem, gehört zu werden . . .

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