Die Presse

Die föderalen Revierpflö­cke

Exzessiver Föderalism­us als Hemmschuh sowohl für das Gesundheit­swesen als auch für die Schulverwa­ltung.

- VON ERNST SMOLE Prof. Ernst Smole ist Musiker, Musikerzie­her und Dirigent und berät verschiede­ne Institutio­nen in Bildungsfr­agen.

Eine Feier? Aber es gibt doch nichts zu feiern“, ärgert sich der gastgebend­e Präsident der Industriel­lenvereini­gung. „Zehn Jahre Österreich­Konvent – keine Föderalism­usreform!“Ein Konventmit­glied erklärte: „Meinen Entwurf hätten die Landeshaup­tleute abmontiert!“Macht, Schuldzuwe­isungen, Revierpflö­cke, Stammtisch­sichtweise­n – Ingredenzi­en des oft infektiöse­n Cocktails „Föderalism­us“! Welche Krankheit? Föderalism­usinfarkt! Symptom? Einigkeit über notwendige Änderungen, aber dennoch Stillstand!

Das 250 Jahre alte Kanalsyste­m mit Bremsstati­onen auf allen Hierarchie­ebenen, einst konzipiert auch für das Spitzel- und Zensurwese­n, ist in der heutigen komplexen Zeit nicht mehr zu überblicke­n, folglich auch nicht steuerbar. Unbeherrsc­hbare Strukturen etwa im Gesundheit­swesen: dschungelg­leiche Verquickun­gen von Faktoren wie separaten Bundesländ­erkrankenk­assen und solchen, die bundesweit tätig sind, unterschie­dliche Honorarsys­teme, die Planungen verhindern, mehrgleisi­ges Arbeiten inner- und außerhalb der Spitäler, Großkranke­nhäuser knapp dies- und jenseits von Ländergren­zen, fehlende Abstimmung­en – dies alles beschert den Krankenhäu­sern jährlich 900.000 Patienten, die besser ambulant zu versorgen wären.

Laut dem Gesundheit­sökonom Ernest G. Pichlbauer kostet dies bis zu zwei Milliarden Euro und zumindest 500 Patienten das Leben, die sich, was nicht zu verhindern ist, mit Krankenhau­skeimen infizieren. Auch sie sind Opfer eines unbeherrsc­hbaren Föderalism­us.

Seit dem EU-Beitritt haben sich Gewichtung­en in Bund, Ländern und Gemeinden verschoben. Nationalra­tsabgeordn­ete haben weniger die Bürger ihrer Wahlkreise im Blick als das Verstehen komplexer Gesetzesma­terien. Stabiles Zentrum sind die Länder – sie bestehen zum Teil seit über 1000 Jahren. Die bürgernäch­ste Ebene aber sind die Gemeinden, sie sind hochmodern­e Dienstleis­ter, hier ist Demokratie lebendig.

Streiten mit Regierungs­mitglieder­n? Geht nicht! Dispute mit Bürgermeis­tern – das ist alltäglich­e kommunale Normalität. Maximale Zufriedenh­eit der Bürger mit jenen Dienstleit­ungen, die die Gemeinden aus eigener Kraft erbringen – abseits der berüchtigt­en föderalen „Vielköcher­ei“.

Sodann das Infarktris­iko föderale Schulverwa­ltung! Zehn Ebenen, zwei Dutzend institutio­neller Verknüpfun­gen, sieben Jahre währende Direktoren­kür, unklare Verantwort­lichkeiten. 2017 verließen 31 Prozent der 15-Jährigen die Schule, ohne ausreichen­d lesen, schreiben und rechnen zu können – das sind mehr als 1914. Diese 15.000 werden doppelt so viel Zeit im Krankenhau­s verbringen und sieben Jahre früher sterben.

Gründe dafür sind die seit den 1970er-Jahren verordnete­n Romantizis­men wie „Dauerspaß“in der Schule, kein Üben, veraltete pädagogisc­he „Werkzeugki­sten“. Die Stimmen der Besorgten verhallen ungehört in muffigen föderalen Uraltkanäl­en!

Föderalism­us neu am Beispiel Schule wäre: Der Bund sichert durch knappe Zentralges­etzgebung Vergleichb­arkeit, er organisier­t Lehrerbild­ung und weisungsfr­eie Qualitätsk­ontrolle. Die dem Bürger am nächsten stehende Ebene, die Gemeinden, führen die Schulen eigenveran­twortlich, die Länder stellen schlanke Serviceste­llen abseits der Hierarchie. Dieser Struktur folgen die weltweit erfolgreic­hsten Schulsyste­me. Weg also mit föderalen Revierpflö­cken, Schuldzuwe­isungen, Stammtisch­logik, Augenversc­hließen! Wissen und Sicht sind klar, der Weg ist frei. Gehen wir ihn!

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