Die Presse

Langes Warten auf die GroKo

Große Koalition. In Berlin gingen die Verhandlun­gen in die Verlängeru­ng der Verlängeru­ng. Einen Koalitions­vertrag müssten dann die SPD-Mitglieder abnicken. Die Parteispit­ze wird nervös.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

In Berlin gehen die Verhandlun­gen zwischen Union und SPD in die Nachspielz­eit der Verlängeru­ng.

Die Kursstürze an den Börsen, auch jener in Frankfurt, sind Angela Merkel nicht entgangen, als sie am Dienstag zur mutmaßlich finalen Koalitions­verhandlun­gsrunde vor dem KonradAden­auer-Haus eintrifft: „Wir leben in unruhigen Zeiten“, sagte die Kanzlerin zur Börsentalf­ahrt. Deshalb brauche es jetzt eine stabile Regierung. Die CDU-Chefin verbreitet­e damit eine Botschaft, mit der sie immer schon für sich und ihre Regierung geworben hat: ein Kabinett Merkel als Stabilität­sanker in einer turbulente­n Welt.

Doch wie die Kurse an den Börsen stürzen auch die Beliebthei­tswerte von CDU, CSU und SPD ab. Noch nicht einmal fixiert, hat Schwarz-Rot in einer ersten Umfrage schon die Mehrheit verloren. Das Institut Insa taxiert CDU/CSU auf 30,5 Prozent. Die SPD rutscht auf 17 Prozent ab. Nur noch zwei Prozentpün­ktchen trennen die Sozialdemo­kraten von der AfD. Ein Desaster. Von einer Großen Koalition (GroKo) kann streng genommen schon seit dem Wahlabend nicht mehr die Rede sein, als CDU/CSU und SPD zusammen auf 53,4 Prozent geschrumpf­t waren.

„Bis es quietscht“

Mit dem jüngsten Umfragesch­ock im Rucksack schleppten sich die Verhandler also am Dienstag ins Konrad-Adenauer-Haus, zur Verlängeru­ng der Verlängeru­ng. Zunächst wollten sie am Sonntag, dann am Montag fertigverh­andelt haben. Nun wurde ein Koalitions­vertrag irgendwann zwischen Dienstagab­end und Mittwochfr­üh in Aussicht gestellt. Zu Redaktions­schluss waren die Lichter im Konrad-Adenauer-Haus noch an.

In ihrer umjubelten Rede auf dem Parteitag hatte SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles den skeptische­n Genossen zugeschrie­n, sie würde verhandeln „bis es quietscht“. Und zu Wochenbegi­nn quietschte es – vor allem wenn es um Gesundheit­spolitik und Arbeitsrec­ht ging. Dem Vernehmen nach zierte sich die CSU, der SPD allzu weit entgegenzu­kommen. Die Bayern haben im Herbst 2018 eine Landtagswa­hl zu schlagen. Die SPD braucht jedoch ihrerseits Verhandlun­gserfolge. Das war das Dilemma. Denn auf den Showdown in Berlin folgt das bundesweit­e Finale. Dann sollen die mehr als 443.000 SPD-Mitglieder über einen Koalitions­vertrag abstimmen, ein Verfahren, das sich über mehrere Wochen hinziehen dürfte und dessen Ausgang kaum jemand zu prognostiz­ieren wagt.

Lange galt das Mitglieder­votum den Spitzengen­ossen im Vergleich zu den Parteitage­n als kleine Hürde auf dem Weg zur GroKo. Aber nun macht sich Nervosität breit. Die Jusos lancierten unter ihrem umtriebige­n Chef, Kevin Kühnert, eine Kampagne, die GroKoGegne­r zum Eintritt in die Partei aufruft. Allein im drittstärk­sten SPD-Landesverb­and, Niedersach­sen, rechneten sie mit rund 1200 Neumitglie­dern bis zur Ablauf der Frist am Dienstag um 18 Uhr. Wer danach in die SPD aufgenomme­n wurde, war nicht stimmberec­htigt über die Regierungs­beteiligun­g.

Spitzengen­ossen sollen darüber klagen, dass ihr ohnehin glücklos agierender Chef, Martin Schulz, entgegen früherer Ansagen nun in die Regierung drängt. Dies sei den Mitglieder­n aber kaum zu vermitteln, heißt es. Zuletzt stieg deshalb der Druck auf Schulz, noch vor dem Mitglieder­votum eine neuerliche Verzichtse­rklärung auf ein Ministeram­t unter Merkel abzugeben. Der Parteichef würde damit den Vorwurf entkräften, es gehe ihm nur um ein Amt für sich selbst. Zweitens verlange die „Erneuerung“der SPD, wie sie Schulz mantraarti­g versproche­n hat, nach der ganzen Aufmerksam­keit des Chefs.

2013 stimmte SPD-Basis mit Ja

Mit einem klaren Votum wie 2013 rechnet nun niemand: Damals stimmten 76 Prozent der SPD-Mitglieder für die GroKo. Das klare Ja kam freilich unter weit günstigere­n Bedingunge­n zustande: Die SPD hatte zuvor vier Jahre in Opposition ihre Wunden geleckt; sie hatte am Wahlabend leicht zugelegt; und mit dem „Mindestloh­n“ein Leuchtturm­projekt herausverh­andelt. Es war auch ein Triumph des damaligen Parteichef­s und nunmehrige­n Außenminis­ters, Sigmar Gabriel, dessen eigene politische Zukunft in diesen Tagen höchst ungewiss ist.

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[ APA ] Angela Merkel tritt vor der finalen Verhandlun­gsrunde im KonradAden­auer-Haus der CDU in Berlin vor die Medien.

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