Langes Warten auf die GroKo
Große Koalition. In Berlin gingen die Verhandlungen in die Verlängerung der Verlängerung. Einen Koalitionsvertrag müssten dann die SPD-Mitglieder abnicken. Die Parteispitze wird nervös.
In Berlin gehen die Verhandlungen zwischen Union und SPD in die Nachspielzeit der Verlängerung.
Die Kursstürze an den Börsen, auch jener in Frankfurt, sind Angela Merkel nicht entgangen, als sie am Dienstag zur mutmaßlich finalen Koalitionsverhandlungsrunde vor dem KonradAdenauer-Haus eintrifft: „Wir leben in unruhigen Zeiten“, sagte die Kanzlerin zur Börsentalfahrt. Deshalb brauche es jetzt eine stabile Regierung. Die CDU-Chefin verbreitete damit eine Botschaft, mit der sie immer schon für sich und ihre Regierung geworben hat: ein Kabinett Merkel als Stabilitätsanker in einer turbulenten Welt.
Doch wie die Kurse an den Börsen stürzen auch die Beliebtheitswerte von CDU, CSU und SPD ab. Noch nicht einmal fixiert, hat Schwarz-Rot in einer ersten Umfrage schon die Mehrheit verloren. Das Institut Insa taxiert CDU/CSU auf 30,5 Prozent. Die SPD rutscht auf 17 Prozent ab. Nur noch zwei Prozentpünktchen trennen die Sozialdemokraten von der AfD. Ein Desaster. Von einer Großen Koalition (GroKo) kann streng genommen schon seit dem Wahlabend nicht mehr die Rede sein, als CDU/CSU und SPD zusammen auf 53,4 Prozent geschrumpft waren.
„Bis es quietscht“
Mit dem jüngsten Umfrageschock im Rucksack schleppten sich die Verhandler also am Dienstag ins Konrad-Adenauer-Haus, zur Verlängerung der Verlängerung. Zunächst wollten sie am Sonntag, dann am Montag fertigverhandelt haben. Nun wurde ein Koalitionsvertrag irgendwann zwischen Dienstagabend und Mittwochfrüh in Aussicht gestellt. Zu Redaktionsschluss waren die Lichter im Konrad-Adenauer-Haus noch an.
In ihrer umjubelten Rede auf dem Parteitag hatte SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles den skeptischen Genossen zugeschrien, sie würde verhandeln „bis es quietscht“. Und zu Wochenbeginn quietschte es – vor allem wenn es um Gesundheitspolitik und Arbeitsrecht ging. Dem Vernehmen nach zierte sich die CSU, der SPD allzu weit entgegenzukommen. Die Bayern haben im Herbst 2018 eine Landtagswahl zu schlagen. Die SPD braucht jedoch ihrerseits Verhandlungserfolge. Das war das Dilemma. Denn auf den Showdown in Berlin folgt das bundesweite Finale. Dann sollen die mehr als 443.000 SPD-Mitglieder über einen Koalitionsvertrag abstimmen, ein Verfahren, das sich über mehrere Wochen hinziehen dürfte und dessen Ausgang kaum jemand zu prognostizieren wagt.
Lange galt das Mitgliedervotum den Spitzengenossen im Vergleich zu den Parteitagen als kleine Hürde auf dem Weg zur GroKo. Aber nun macht sich Nervosität breit. Die Jusos lancierten unter ihrem umtriebigen Chef, Kevin Kühnert, eine Kampagne, die GroKoGegner zum Eintritt in die Partei aufruft. Allein im drittstärksten SPD-Landesverband, Niedersachsen, rechneten sie mit rund 1200 Neumitgliedern bis zur Ablauf der Frist am Dienstag um 18 Uhr. Wer danach in die SPD aufgenommen wurde, war nicht stimmberechtigt über die Regierungsbeteiligung.
Spitzengenossen sollen darüber klagen, dass ihr ohnehin glücklos agierender Chef, Martin Schulz, entgegen früherer Ansagen nun in die Regierung drängt. Dies sei den Mitgliedern aber kaum zu vermitteln, heißt es. Zuletzt stieg deshalb der Druck auf Schulz, noch vor dem Mitgliedervotum eine neuerliche Verzichtserklärung auf ein Ministeramt unter Merkel abzugeben. Der Parteichef würde damit den Vorwurf entkräften, es gehe ihm nur um ein Amt für sich selbst. Zweitens verlange die „Erneuerung“der SPD, wie sie Schulz mantraartig versprochen hat, nach der ganzen Aufmerksamkeit des Chefs.
2013 stimmte SPD-Basis mit Ja
Mit einem klaren Votum wie 2013 rechnet nun niemand: Damals stimmten 76 Prozent der SPD-Mitglieder für die GroKo. Das klare Ja kam freilich unter weit günstigeren Bedingungen zustande: Die SPD hatte zuvor vier Jahre in Opposition ihre Wunden geleckt; sie hatte am Wahlabend leicht zugelegt; und mit dem „Mindestlohn“ein Leuchtturmprojekt herausverhandelt. Es war auch ein Triumph des damaligen Parteichefs und nunmehrigen Außenministers, Sigmar Gabriel, dessen eigene politische Zukunft in diesen Tagen höchst ungewiss ist.